Der Virus der Farbguerilla

45 Posted by - 7. Juni 2014 - Protagonisten

Graffiti ist wie Yoga oder Meditation, heißt es in der neuen Ausgabe des Münchener KLICK KLACK Magazins. Ein sinnfreier Moment, der Glück schafft, der intensiver sehen, hören und riechen lässt. Ein Moment, der befreit von all dem Leistungs- und Optimierungsdruck, den unsere vom Markt bestimmte Gesellschaft ausübt.

Anders als in den meisten anderen Graffiti Magazinen, finden wir im KLICK KLACK Magazin vergleichsweise wenige Bilder von bemalten Zügen und vermummten Posern. Auf 32 sorgfältig gestalteten Doppelseiten erzählen bekannte internationale Maler mit Fotos und Texten, was ihre Leidenschaft für Graffiti ausmacht. Warum sie sich die Nächte um die Ohren schlagen und viel Geld für Dosen ausgeben, auch wenn das Bild vielleicht noch nicht mal durch die Stadt fährt, sondern direkt gebufft wird. Oder warum sie es einfach selbst übermalen.

Das ist kein einfaches Unterfangen. Verschwiegenheit gehört zu den Tugenden eines Malers und Fame ist weiterhin Graffiti-Mainstream. Was kann da ein Graffiti-Magazin erzählen, was nicht schon vorher im Internet gelandet ist? Gibt es überhaupt ein Interesse auf Seiten der Künstler, mehr von sich preiszugeben? Und sich gleichzeitig auf eine Doppelseite zu beschränken, um die Essenz des eigenen Blickwinkels auf Graffiti zu verdichten? „32 Akteure aus den verschiedenen Submilieus der großen Graffitikrankheit“ haben mitgemacht und die Macher aus München haben vier Jahre nicht locker gelassen. Danke KLICK KLACK!

Was kann ich über das Magazin erzählen, das ich nicht schon erwähnt habe und das ähnlich tief in die Farbguerilla Szene reicht wie KLICK KLACK selbst? Da fiel mir Enzo Ricordo ein, der in Berlin seit vielen Jahren dokumentiert, wer, wo Farbe hinterlässt. Warum also nicht einfach dem Gespräch zwischen zwei Graffiti-Nerds, zwischen Roman Ritzer von KLICK KLACK und Enzo,  lauschen?

 

ENZO: Dreiecksgespräch über Skype hatte ich auch noch nicht. Vor allem nicht mit jemandem, den ich überhaupt nicht kenne.

ROMAN: Ist ein bisschen futuremäßig hier gerade.

ENZO: lacht.

Glückwünsche für die neue Ausgabe des KLICK KLACK Magazins werden verteilt. Die Release-Party am 28. Mai muss ein Kracher gewesen sein. Viel mehr Leute als erwartet, viel mehr Scherben, viel mehr Tags, die weggeputzt werden mussten. Ein voller Erfolg, freut sich Roman von KLICK KLACK. Nach zwei Tagen aufräumen, tütet er gerade die ersten Magazine zum Versenden ein. Samstag. 14 Uhr. Enzo hat sich die Nacht mit Bildern eines Kollegen um die Ohren geschlagen. Für das nächste ARTISTZ Magazine, was im Herbst erscheinen soll. Enzo und Roman sprechen sich zum ersten Mal.

 

 

ENZO: Wie war das Feedback auf der Party?

ROMAN: Es gab schon ein paar Leute, denen es zu viel Text war. Gerade von den Jüngeren kam so: „Jetzt acht Euro zahlen ohne das da viele bemalte Züge drin sind…“ Manchen ist es vielleicht auch zu intellektuell geworden, was wir gar nicht wollten. Wir wollten krass vermeiden, dass es elitär wird.

ENZO: Klar, ein paar Texte gehen tiefer rein, aber ich finde, ihr hebt euch gerade dadurch auch von anderen Magazinen ab und das ist echt cool. Ein mutiger Schritt. Aber auch die logische Konsequenz aus dem, was es schon haufenweise gibt. Endlich bekommt man mal eine persönliche Sichtweise und Erfahrungen von den Leuten erzählt, von denen man vielleicht noch gar nichts kennt. Ich finde das echt spannend zu Lesen. Wie habt ihr die Auswahl gemacht? Ihr kommt aus München, wie seid ihr da beispielsweise auf so jemanden wie SPAIR gekommen, der ja vor allem in Berlin unterwegs ist?

ROMAN: Wir haben viele Kumpels in Berlin und sind auch oft dort hingefahren. Andere Kontakte haben wir über Leute wie die Macher von „Das Gedächtnis der Stadt schreiben“ bekommen und letztlich waren viele einfach begeistert von der Idee.

ENZO: Versucht ihr denn auch über andere Vertriebswege zu gehen, nicht nur die klassischen Malerläden, sondern vielleicht auch Leute zu erreichen, die sich für Fotos interessieren oder allgemein Interesse haben könnten?

ROMAN: Wir haben schon ein paar Buchläden und Museen angeschrieben aber vielleicht müssen wir einfach mal dahin gehen. Dann gibt es ein paar Zeitschriftenläden oder den Soda Bookstore, das sind so typische Läden, die einem ein paar Magazine abnehmen. Document Press wäre vielleicht auch interessant. Aber was wir überhaupt nicht wollen, ist, dass es den Sprühern, gerade den jüngeren, die voll auf dem Graffitifilm sind, dass es denen zu hoch, zu künstlerisch ist. Wir wollen schon auch roughes Graffiti zeigen.

 

Die Erfahrungen rum um Graffiti herum, sind meist wichtiger als das Bild selbst

Die Erfahrungen rum um Graffiti herum sind meist wichtiger, als das Bild selbst.

 

ENZO: Bist du denn zufrieden, wie es jetzt geworden ist?

ROMAN: Wir hätten gerne noch ein, zwei gute Style-Writer mit bemalten Zügen reingenommen aber es hat am Ende leider nicht mehr geklappt. Aber ich sehe schon auf jeder zweiten Seite einen bemalten Zug oder einen richtig krassen Graffitisprüher, der seit 15 Jahren illegal bombt und ich verstehe dann nicht, was manche Leute erwarten.

ENZO: Vielleicht sind manche noch nicht so weit. Deswegen ist es ja auch gut, dass ihr den klassischen Rahmen aufbrecht. So können die Leute ihren Horizont erweitern.

ROMAN: Bei der ersten Ausgabe hat es ein bisschen gedauert. Aber nach eine Weile haben immer mehr Leute das Magazin gefeiert, auch per Mail und so. Vielleicht dauert es jetzt auch ein bisschen. Noch denken die Leute: Soll ich mir den Scheiß jetzt komplett durchlesen?!

ENZO: Das ist aber auch das Coole an dem Mag und war ein Kritikpunkt an unserem ARTISTZ Magazine. Wir haben ja relativ große Fotos gemacht, schlichtes Layout – uns ging es gerade um die Fotos. Und dann hieß es: Voll gut, aber im Endeffekt gibt es, wenn man sich das Magazin zum fünften oder sechsten Mal anschaut, weniger zu entdecken. Das finde ich beim KLICK KLACK ganz cool, weil man am Anfang vielleicht die Leute liest, die man kennt oder die einem sympathisch sind oder bei denen einen das Graff anspricht. Aber nach und nach, wenn man dann mal Zeit hat, kann man auch in die anderen Sachen reinlesen. Da kann man immer wieder reingucken.

ROMAN: Wie ist denn bei euch der Stand der Dinge?

ENZO: Wir haben gerade wieder angefangen für die nächste Ausgabe zu sammeln. Wir wollen dem Konzept schon ein bisschen treu bleiben und es wird sicher auch wieder einiges an Arbeit, den Leuten hinterher zu rennen, dass sie ihr Zeug schicken. Es ist ja schon so, dass viele unsicher sind mit ihren eigenen Sachen. Ging mir auch nicht anders, mit dem Special in der letzten ARTISTZ Ausgabe. Kommt das jetzt? Ist das zu weit weg? Fragen dich da alle: Was soll die Scheiße, warum sieht man da nur die Hälfte von dem Bild?

 

In der letzten Ausgabe des ARTISTZ Magazine gibt es eine Serie von Enzo Ricordo, in der die Bilder auf den Zügen zum Teil von Bäumen, Bauten oder Menschen auf den Gleisen verdeckt werden. Mal sind die Türen der Bahn gerade auf und das eigentliche Piece damit verrutscht. Dadurch entsteht eine Art Quiz. Wer hat hier gemalt? Wo wurde das Bild aufgenommen? Auch Insider werden so herausgefordert. In seinem Text „Der Etwas andere Shot“ gibt Enzo uns Einblick in seinen Alltag auf der Suche nach dem nächsten Shot. Das frühe Aufstehen, um die Bahn im richtigen Moment an einem guten Spot zu erwischen. Was alles so dazwischen kommen kann und den Shot vermiesen kann. Diese ungewöhnlichen Bilder können spannender sein, als der „gewöhnliche frontale Schuss“.

 

Copyright: Enzo Ricordo

Der Etwas andere Shot von Enzo Ricordo

 

ENZO: Ich wohne jetzt seit neun Jahren in Berlin und beschäftige mich schon seit 2000 mit Graff. Als ich hierher gezogen bin, ist mir aufgefallen, dass es in Berlin Viele gibt, die gar nicht über den Berliner Tellerrand schauen, weil in Berlin auch so viel geht, dass es den Leuten reicht. Wir hatten uns gesagt, dass wir zwar schon ein straightes Berlin-Mag machen wollen aber jedes Mal mindestens einen aus Restdeutschland, Europa oder Ausland featuren. Dadurch kommt natürlich noch mal anderes Graff rein und auch andere Modelle. Bei Zügen ist es schon gut, wenn noch andere Modelle zu sehen sind. Der Text ist uns auch wichtig und Viele waren sich unsicher. Rausgekommen sind dann ganz unterschiedliche Texte, das fand ich sehr gut. Es gab nüchtern neutrale Texte, Berliner Atzen Style und eine Alltagstory – dieses Jahr soll es auch so werden.

BETONDELTA: Enzo, du hast erzählt, das es einige Texte im KLICK KLACK gibt, die dir aus der Seele sprechen. Welche waren das nochmal?

ENZO: Also SPAIR hat mich auf alle Fälle gut entertainent (lacht). Ich fand aber beispielsweise auch Capsol interessant, der seine Bilder selber chromt, nachdem er ein Foto gemacht hat, damit das Bild nicht im Internet landet.

ROMAN: Er wurde in Bayern zumindest ziemlich gefeiert und dann gab es diese große Internetseite Streetfiles, die jetzt geschlossen wurde, wo viele Bilder von ihm aufgetaucht sind und die Leute total viel darunter geschrieben haben. Jetzt gibt es Facebookseiten, wo Leute teilweise Informationen raushauen, die eher der Polizei dienen. Darauf bezieht sich Capsol auch.

ENZO: Das Internet hat auf jeden Fall angepusht, dass Graffitis-Fotografieren der neue Trendsport geworden ist und jeder mit seinem Handy oder seiner billigen Digi Fotos macht und die ins Netz stellt. Dadurch verliert das Ganze auch seine Wertigkeit. Du klickst dich im Internet durch und hast überhaupt keinen Bezug mehr dazu. Das Feeling geht verloren, raus zu gehen und den Zug zu sehen und dem Ding selbst hinterher jagen. Diese Erfahrung, was alles drum herum passiert, hat man im Netz nicht. Hast du ein Fav? Einen Favoriten?

ROMAN: Einen wirklichen Favoriten habe ich nicht. Bei einem finde ich das Foto gut, beim anderen die Idee oder den Text. Spontan fällt mir ein, dass ZEDT mit der Aktion, dass er sein Bild selbst bufft, schon Eindruck auf mich gemacht hat. Sehr gefreut hat mich aber auch der Beitrag von BROM, weil ich ihn als Writer feier und die Geschichte und das Statement gut finde. Bei ACID 79 finde ich das Layout sehr gut und dass es krass gut auf seiner Seite funktioniert.

ENZO: Der SEEW Text hat mir, gerade so das letzte Drittel, auch voll aus der Seele gesprochen.

ROMAN: Ich mag den Text auch sehr gerne. Ich finde den Text schon sehr pathetisch, eigentlich purer Pathos. Aber SEEW darf das. Das ist schon okay.

 

SEEW in KLICK KLACK über Graffiti:

Du hast mir so die Mittel an die Hand gegeben, die Normen dieser Gesellschaft auf spielerische Weise und völlig ideologiefrei neu zu betrachten und zu evaluieren, ganz nach meinen Bedürfnissen, die mir ohne Dich vermutlich nie so klar hätten werden können. Und was wäre die Zeit gewesen ohne die Freunde, die Du mir geschenkt hast? Verloren!

 

Das Älterwerden in der Subkultur - auch ein Thema im KLICK KLACK Magazin

Das Älterwerden in der Subkultur – auch ein Thema im KLICK KLACK Magazin

 

Bevor ich die beiden in ihre Samstage entlasse, will ich aber noch ein paar Hintergrundinfos zu zwei Doppelseiten von KLICK KLACK wissen. Was geht beispielsweise mit den Skelett und Tierresten bei SAT ONE? Und wer ist eigentlich Julian Roth?

 

ROMAN: Das Skelett lag da tatsächlich, ist aber kein echtes Skelett, mehr so eins aus dem Unterricht. Die Hasenpfoten sind echt. Da ist ein Tier erwischt worden. Die roten Spuren in dem Raum sind vermutlich von Kindern, die da Ketchup hingeschmiert haben. Da ist aber Niemand getötet worden. Er sagt in seinem Text, dass das tolle an Graffiti ist, dass du in irgendwelche Häuser hinein, an irgendwelchen Linien entlang läufst und du allen möglichen Scheiß findest, was es auch spannend macht.

Julian Roth hatte die Idee, nur ein Bild von sich, dem „Graffitisprüher von 1999-2008“ zu zeigen. Mein Vorschlag war dann diesen Satz, dass er jetzt sinnvollere Dinge mache, noch als Zitat zu nehmen. Das war seine Antwort auf die Frage, warum er jetzt nicht mehr sprüht. Mutig, aber er hat sich getraut.

 

Zum Glück haben sich auch alle anderen getraut, mehr zu erzählen, als ihre Bilder oder die Fotos ihrer Bilder verraten. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste ARTISTZ MAGAZINE und werde sicher noch einige Male das KLICK KLACK Magazin raussuchen, durchblättern und davon erzählen. Es zeigt, dass Graffiti mehr ist als „Ich war hier“-Parolen, krasse Actions oder dicke Hosen. Diese alltäglichen, inspirierenden, mutigen, befreienden, je nachdem wie man es sieht, auch politischen Seiten der lebendigen Subkultur lohnen einen genaueren Blick. Mehr davon!

 

*Danke an Sammy Khamis

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