Der Mensch als Datenprofil

25 Posted by - 3. Juni 2015 - Protagonisten

Wissen ist Macht. In Zeiten des Internets und Big Data erreicht dieses Wissen jedoch ungeahnte Ausmaße. Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon besitzen Millionen Datenprofile – unsere Profile. Jede „Gefällt mir“-Angabe bei Facebook wird mit unserem Datenprofil verknüpft. Damit können dann unsere Ethnie, unser Geschlecht und sogar unsere sexuelle Orientierung bestimmt werden.Wir haben mit dem österreichischen Netzaktivist Wolfie Christl über digitale Überwachung gesprochen.

Wolfie Christl beschäftigt sich schon seit 15 Jahren mit den Auswirkungen von Informationstechnologien auf unsere Gesellschaft. Ende letzten Jahres hat er die Studie „Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag“ veröffentlicht. Wir haben ihn getroffen, um herauszufinden, wer unsere Daten sammelt, was genau damit heute passiert und welche Folgen diese Art der Überwachung in Zukunft für uns haben kann.

BETONDELTA: Sie haben ihre Studie im Auftrag der Konsumentenschutzabteilung der österreichischen Arbeiterkammer erstellt. Was war das Ziel dieser Studie?

WOLFIE CHRISTL: Ich habe mit meiner Studie versucht herauszufinden, welche Daten Unternehmen heute wirklich sammeln, wie sie diese verknüpfen und wie sie diese dann verwerten. Das machen Firmen aus unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen, wie zum Beispiel Versicherungen und Finanzunternehmen. Außerdem habe ich untersucht, welche Folgen diese digitale Überwachung für den Einzelnen, aber auch für die gesamte Gesellschaft hat. Also, wohin könnte das führen? Und vor allem: Was ist zu tun?

Dieses sogenannte Tracking bemerken wir beim Surfen durch das Internet ja noch nicht mal. Das ist alles sehr undurchsichtig. Ab und zu erscheint auf den von uns besuchten Websites zwar ein Hinweis auf sogenannte Cookies, aber mehr wissen wir eigentlich nicht. Wie genau werden wir denn überwacht?

Inzwischen verfolgen uns tausende Unternehmen auf Schritt und Tritt. Sie versuchen uns zu analysieren, zu klassifizieren und zu bewerten. Und das geschieht, wie Sie gerade sagten, unter anderem wenn wir das Internet benutzen.

Unsere Klicks werden von vielen Firmen verfolgt und wir wissen gar nicht, was diese mit unseren Daten eigentlich machen.

Aber auch unsere Mobiltelefone sind eine ergiebige Quelle für sehr private Daten. Dort sind unsere Kontakte gespeichert, unsere Nachrichten, unsere Anrufe, und das Mobiltelefon verfolgt unsere Bewegungen. Über Apps werden die Daten an unzählige weitere Unternehmen weitergeleitet. Dann gibt es noch das sogenannte Internet der Dinge, also Objekte und Alltagsgegenstände, die eigentlich kleine vernetzte Computer sind und Daten aufzeichnen. Das beginnt beim E-Book-Reader, der unser Leseverhalten aufzeichnet, über Fitnessarmbänder, die unseren Puls und andere Gesundheitsdaten messen bis zu vernetzen Raumthermostaten, zum Beispiel von Google Nest. Diese regulieren die Raumtemperatur und ganz nebenbei verfolgen sie über einen Bewegungssensor, wie man sich in der Wohnung bewegt.

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Bei diesen Daten handelt es sich ja vor allem um Metadaten, also zum Beispiel nicht, was ich in einer E-Mail geschrieben habe, sondern wann ich sie verschickt habe. Welchen inhaltlichen Mehrwert hat diese Information für ein Unternehmen?

Bei der kommerziellen Überwachung geht es längst nicht mehr nur um Daten, von denen wir wissen, dass sie sensibel sind. Man kann inzwischen aus vielen Daten, die auf den ersten Blick sehr wenig aussagekräftig scheinen, sehr viel über jemanden erfahren. Ich habe bei meinen Recherchen für die Studie beispielsweise herausgefunden, dass Unternehmen nur aus Anrufdaten – wie oft wir telefonieren, mit wem wir telefonieren, wie oft wir zurückgerufen werden – Schlussfolgerungen über unseren Charakter machen können. Es geht sogar soweit, dass man aus der Dynamik unseres Tippverhaltens darauf schließen kann, welche Emotionen wir gerade durchleben.

Alle Unternehmen, die uns digital überwachen, betreiben diesen Aufwand ja nicht umsonst. Sie verdienen Geld mit unseren Daten, indem sie diese an andere Firmen weiterverkaufen. Was sind meine Daten denn wert?

Das kann man nur schwer beantworten. Es hängt davon ab, von wem die Daten kommen und aus welchem Grund sich ein Unternehmen für eine Person interessiert. Bei der kommerziellen Überwachung geht es aber eigentlich nicht nur darum, was die Daten heute für ein Unternehmen wert sind, man muss das umgekehrt betrachten: Wenn ich ein Fitnessarmband benutze, gebe ich meine Gesundheitsinformationen weiter. Daraus können jetzt schon bestimmte Informationen berechnet werden und in einigen Jahren mit neuen Analysetechnologien noch viel mehr. Die Frage müsste eigentlich umgekehrt lauten:

Was könnte es den Einzelnen in zwanzig, dreißig Jahren kosten, dass er diese Daten an irgendwelche Unternehmen freigegeben hat?

Viele Verbraucher benutzen im Zusammenhang mit Datenüberwachung ja häufig den Satz „Ich habe nichts zu verbergen“. Was würden Sie entgegnen?

Ich habe festgestellt, wenn man persönlich mit Menschen spricht, dann klafft ein großer Widerspruch zwischen dem, was sie digital, online oder am Smartphone irgendwelchen Unternehmen freigeben – komplette Listen von Nachrichten, Kontakten, Standorte – und dem, was sie persönlich davon anderen Menschen mitteilen würden. Wenn ich manchmal frage, ob ich jetzt sofort aus deren Smartphone die letzten SMS laut vorlesen darf: das will niemand. Ich würde sagen, dass Jede und Jeder etwas zu verbergen hat. Das Problem ist eine gewisse Ohnmacht. Viele Menschen denken: man kann sowieso nichts machen. Wir müssen unbedingt wieder mehr daran glauben, dass wir sowohl als Bürger als auch als Verbraucher etwas ändern können.

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Es muss also ein größeres Bewusstsein für die Ausmaße dieser Überwachung in der Bevölkerung geschaffen werden. Dafür haben Sie ja unter anderem auch das Spiel „Data Dealer“ entwickelt. Was genau kann man dort machen?

„Data Dealer“ ist ein Spiel bei dem man in die Rolle des bösen Datenhändlers schlüpft und Millionen von Persönlichkeitsprofilen sammelt und verkauft. Man betreibt zum Beispiel eigene Online-Partnerbörsen, Kundenkartensysteme oder auch das eigene Smoogle und Tracebook, und verkauft die Daten dann an Banken, Versicherungen und Personalabteilungen. Ich glaube schon, dass einem mit dieser Art der Rollenumkehr bewusster wird, welche persönlichen Daten es überhaupt gibt, wer sie sammelt, aus welchem Interesse und welche Risiken es dabei gibt.

Und wie kann man sich in der realen Welt gegen diese einflussreichen Unternehmen wehren? Das fühlt sich ja schon ein bisschen an wie David gegen Goliath. Was muss passieren?

Als erstes müssten die Unternehmen transparenter werden. Wir wissen wie gesagt nicht, was genau aus unseren Daten errechnet wird. Die gesetzliche Ebene ist natürlich ebenfalls sehr wichtig. Wir brauchen ganz dringend eine gute europäische Datenschutzverordnung. Der Entwurf des EU-Parlaments würde diesbezüglich aus meiner Sicht sehr helfen, der Entwurf des EU-Rats hingegen würde in der Praxis fast eine Abschaffung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bedeuten. Außerdem wäre es zusätzlich wichtig andere, dezentrale Technologien zu fördern, die Rücksicht auf unsere Privatsphäre nehmen. Also Dienste, Plattformen, Apps und so weiter, die für uns und nicht für die Unternehmen arbeiten und die nicht in einer Art digitaler Technokratie münden.

 

 

 

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Foto: Ivan Averintsev

Wolfie Christl lebt in Wien. Er ist ausgebildeter Nachrichtentechniker, Programmierer, Netzaktivist, Researcher, Game Designer und Leiter von Cracked Labs – Institut für kritische digitale Kultur. Schwerpunkt seiner Arbeit sind die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Aktuell ist Wolfie Christl außerdem als inhaltlicher Berater für die Web-Doku „do not track“ (u.a. arte und BR) tätig.

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