Sie riskieren ihr Leben, um Rechtsbrüche von Regierungen, Geheimdiensten und Konzernen öffentlich machen. Sie sind Staatsfeinde und gleichzeitig Helden. Verräter und moderne Aufklärer. Die Theaterregisseurin Angela Richter nennt sie sogar die neue Avantgarde, auch wenn ihre Vorreiterrolle oft nicht anerkannt wird. Für ihr neues Theaterstück SUPERNERDS, welches in diesen Tagen im Kölner Schauspielhaus Premiere feiert, hat sie zahlreiche Whistleblower getroffen und Interviews mit ihnen geführt.
Wir haben mit der Regisseurin über ihre Theaterarbeit und die Treffen mit den Supernerds gesprochen. Was fragt man Menschen, die ihr Leben für die Aufklärung opfern? Warum bekommen Whistleblower nicht unsere volle Unterstützung?
BETONDELTA: Sie haben bereits intensiv mit Julian Assange, dem umstrittenen Wikileaks-Gründer, gearbeitet, Interviews geführt und diese zu einem Theaterstück übersetzt. Für Ihr neues Stück haben Sie mit einer ganzen Reihe von Whistleblowern gesprochen, u. a. auch Edward Snowden selbst. Worüber haben Sie gesprochen?
ANGELA RICHTER: Zum einen über ganz grundlegende Dinge. Fragen, die jeden interessieren würden: Wie wird man eigentlich zum Whistleblower? Was ist der Antrieb, der entscheidende Moment, sein eigenes Leben hinten anzustellen, um Dinge in die Öffentlichkeit zu bringen? Dieser Moment, bei dem man weiß, dass das Leben danach nicht mehr dasselbe ist, wahrscheinlich sogar zerstört ist. Warum macht man das und war es das wert?
Mit Edward Snowden habe ich viel über Verrat diskutiert. Ist er ein Verräter? Was ist eigentlich ein Verräter? Verräter sind gerade im privaten Bereich negativ konnotiert. Aber wenn man als Whistleblower als Verräter bezeichnet wird, heißt das erstmal nur, dass man ein gewisses Gesetz gebrochen hat.
Manchmal ist es nötig Gesetze zu brechen, um andere Verbrechen aufzudecken.
Die Massenüberwachung ist beispielsweise der viel größere Skandal, als das Stillschweigegesetz, dass Snowden gebrochen hat. Schließlich wurde die amerikanische Verfassung gebrochen. Jedem vernünftigen Menschen leuchtet das als Argument ein. Wenn man in der Geschichte zurückblickt, hat es immer wieder Verräter gebraucht, um den Fortschritt zu befördern – wie bei Galileo Galilei oder den Häretikern. Es geht darum gegen Normen zu verstoßen, damit die Menschheit sich weiterentwickelt. Die Interviews passen natürlich nicht in ein zweistündiges Theaterstück, deshalb erscheint zur Premiere das Buch SUPERNERDS im Alexander Verlag.
Wie bringen Sie diese intensiven Gespräche auf die Bühne?
Das Gute an dem Material ist, dass es nicht trockenes Recherchematerial, sondern gesprochenes Wort ist. Das macht es in gewisser Weise nicht so schwer, es Leuten in den Mund zu legen. Wenn ein Schauspieler dieses Material spricht, glaubt man ihm sofort. Was geleistet werden muss, ist diese Gespräche in Szenen zu verpacken. An dem Punkt entferne ich mich auch von der Authentizität, die das Buch beispielsweise hat. Ich erfinde also Szenen, die bildlich sind, emotional wirken. Manchmal gehe ich in eine Überzeichnung hinein, manchmal eher in etwas, was vielleicht noch abstrakter ist. Diese Methoden unterscheiden sich dann aber gar nicht von dem, was man sonst auch am Theater macht.
Wie sieht so eine Szene aus?
Es gibt zum Beispiel eine Gerichtsverhandlung von einem der Dissidenten, die im Gefängnis sind. Eine typisch theatermäßige Gerichtsszene, wie jemand zum Richter spricht. Aber die Szene ist humorvoll und unterhaltsam, um zu betonen, wie absurd die tatsächliche Verhandlung war.
Ich selbst tauche auch als Figur auf, mit der sich das Publikum identifizieren kann, um in diese Welt einzusteigen. Die Figur hat aber relativ wenig mit meinen persönlichen Empfindungen zu tun. Sie erinnert ein bisschen an den Einstieg in ALICE IM WUNDERLAND, auch weil diese Szenen manchmal völlig surreal oder fantastisch wirken.
Snowden, Assange und im Prinzip sämtliche Whistleblower sind DIE Staatsfeinde Nr. 1. Sind sie aber auch die Helden unserer Zeit. Was sind sie in Ihrem Theaterstück?
Sehr unterschiedliche Figuren, die wir natürlich auch fiktionalisieren. Thomas Drake beispielsweise ist ein überzeugter Amerikaner, der damals im Kalten Krieg ein Hartliner war, ein absoluter Patriot und völlig überzeugt vom Militär. Bei uns wird er zum ursprünglichen, cowboyhaften Amerikaner, der die bittere Wahrheit erkennen muss, die er sogar als Patriot nicht mehr ertragen kann. Er wird dann zum Verräter, zum Whistleblower und extrem dafür bestraft.
Drake ist einer derjenigen, die den offiziellen Weg einer Beschwerde gegangen sind – was man Snowden vorwirft, nicht gemacht zu haben. Diese Figur des Thomas Drake wird auf der Bühne zugespitzt zu jemandem, der am Anfang voller Euphorie mitmacht und am Ende ein gebrochener Mann ist. Für seinen Ausstieg wird er mit den schlimmsten Konsequenzen bestraft. Der gesamte Staatsapparat macht sich auf, ihn zu zerquetschen. Das ist natürlich ein anderer Fall, als der von Snowden.
Snowden ist fast eine Art Prophet, der uns allen mitgeteilt hat, dass es einen Überwachungsgott gibt. Er hat sogar Beweise und damit wird das erste Mal in der menschlichen Geschichte ein Gott bewiesen.
Warum bekommen Assange, Snowden & Co nicht unsere volle Unterstützung, obwohl sie doch mit enormem persönlichem Einsatz Rechtsbrüche in unseren Staaten aufgedeckt haben?
Snowden hat in Deutschland extrem hohe Popularitätswerte und Leute sind sogar für ihn auf die Straße gegangen. Aber wir können nicht viel ausrichten. Auch Frau Merkel nicht. Frau Merkel hat so gut wie nichts zu sagen gegenüber den USA. Den USA ist völlig wurscht, ob Frau Merkel ein No-Spy-Abkommen möchte. Erstmal müsste Frau Merkel ein No-Lie-Abkommen mit ihrer Bevölkerung beschließen, oder?
In Amerika ist es ein bisschen anders, weil die Angst seit dem 11. September ein extremer Hebel geworden ist.
Nationale Sicherheit ist eine Religion geworden und die Angst davor, dass Snowden ihr geschadet hat, ist groß.
Die Angst ist auch groß, selbst verfolgt zu werden, wenn man sich explizit hinter so eine Person stellt, eben weil man überwacht wird. Das ist politische Kontrolle. Ist man jetzt Aktivist? Kommt man jetzt auch auf so eine Liste? Wird man jetzt extra beobachtet? Das ist schon furchtbar. Wir haben aber auch noch gar nicht richtig begriffen, was gerade passiert. Wir haben nicht mal das Internet richtig begriffen. Erst später wird man verstehen können, gerade sind wir überfordert.
Sie haben schon vor den Snowden-Enthüllungen zum Thema Whistleblowing gearbeitet. Wie haben sich Ihre Arbeit und Ihre Sicht auf das Thema durch Snowden verändert?
Ehrlich gesagt, gar nicht so viel. Ich war sehr glücklich, als das passiert ist. Leute wie Assange wurden längst nicht mehr ernst genommen, obwohl sie schon ziemlich viel, beispielsweise in dem Buch CYPHERPUNKS, beschrieben haben. Aber ohne Beweise wurden sie als Verschwörungstheoretiker abgetan. Snowden hat diese Beweise jetzt geliefert und das Ende ist noch gar nicht abzusehen. Bisher sind weniger als 1 % der Dokumente von Snowden veröffentlich worden. Ausgedruckt ist der Stapel ca. ein halber Meter hoch.
Steckt in dem Theaterstück SUPERNERDS auch eine Handlungsaufforderung?
Ja. Halb im Scherz sage ich:
Das ist keine Kunst mehr, sondern gute Propaganda.
Ich fände es gut, wenn die Leute für ihr Leben irgendeine Konsequenz daraus ziehen würden. Ihr Verhältnis zur Regierung und zu ihrem Mobiltelefon verändern. Einfach ein bisschen skeptischer werden und beispielsweise beschließen, ihre Emails zu schützen. Es muss nicht sein, dass meine Liebesbriefe gelesen werden können. Und wenn man glaubt, dass das nicht geschieht, dann täuscht man sich. Snowden hat erzählt, dass man sich an diesen Schreibtischen langweilt. Da werden Dossiers gelesen, geschaut, was Leute nachts machen. Das ist gar nicht so abstrakt. Man muss bedenken: Snowden ist einer von 4,7 Millionen, die die gleiche security clearance hatten wie er. Das sind nicht zehn Leute, die vor Millionen von Daten völlig überfordert sitzen. Es sind Millionen, die alle zu dieser Sekte gehören und Zugriff haben.
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