Es gibt viele Dinge, an die man denken könnte, wenn an diesem Sonntag im New Yorker MoMa die große Björk-Retrospektive eröffnet. Zum Beispiel an das Ikonenhafte, was diese, wie außerweltlich wirkende Isländerin für mich immer umweht hat – das, für was sie stand und steht: “the paradigmatic artist of the 90s” nennt es der Kurator der Retrospective Klaus Biesenbach.
Man könnte an ihre ersten Alben denken. An „Debut“ (1993), an „Post“ (1995) und vielleicht am allermeisten an „Homogenic“ (1997). An eben jene Alben, mit denen sie in den Neunziger ein ganz neues Bild der Popmusikerin zeichnete: Die nordisch unterkühlte, feenhafte Avantgardistin, der man vor lauter Atemlosigkeit beim Hören ihrer Songs in jede versteckte Biegung ihrer Hirngespinste und ins feinste Gewebe ihrer versponnenen Gefühligkeit folgen wollte. Björk gab der Popmusik, damals beeinflusst von Techno und Ambient, von sich auflösenden Song-Strukturen, neue Form und Farbe.
Die Frau als Elfe
Und man könnte heute am Weltfrauentag eben auch an die Frau Björk denken: dieses elfenhafte, magische Wesen, das mit ihren fabelhaften, surrealen Liederwelten immer soviel über die Wirklichkeit zu erzählen vermochte. Weil es in ihrer Musik, besonders auf „Homogenic“, immer vor allem darum ging, den Hörer, also auch mich, herauszufordern mit Widersprüchen, Verrätselungen und Unstimmigkeiten.
Björks Musik verlangt offene Ohren und Horizonte. Und eine lebendige, eine sprunghafte Imagination. Diese neuen Welten – diese Außenwelten, waren für mich als Teenager und auch noch jetzt immer die wohl schönsten Versprechen an die Zukunft: Dass hinter allen Grenzen immer auch Möglichkeitsräume lagen. Björk hatte sie zuerst entdeckt und erzählte mir davon. Auch wenn ich nicht immer alles verstand, es reichte schon diese Ahnung von Außerweltlichkeit. Dieses blinde und mutige Voranschreiten – ob im isländisch-mystischen Nebelschwaden oder musikalischen Experimenten – hat mich immer fasziniert.
Der Kleber, der alles zusammenhält
Vielleicht ist es ein Zufall, dass mich, solange ich denken kann, auch die Geschichte von Mary Poppins in ihren Bahn zog. Dass ich das zauberhafte, weise Kindermädchen, das die Realität mit Fantasie heilte, irgendwie genauso mochte wie die isländische Sirene. Das hätte ganz unterschiedliche Gründe, dachte ich lange. Bis Björk vor einigen Wochen dem Onlinemagazin Pitchfork in einem Interview folgendes erzählte:
If you can make nature and technology friends, then you can make everyone friends; you can make everyone intact. That’s what women do a lot – they’re the glue between a lot of things. […] It’s like the end scene in Mary Poppins, when she’s made everyone friends, and the father realizes that kids are more important than money – and [then] she has to leave. It’s a strange moment. Women are the glue. It’s invisible, what women do. It’s not rewarded as much.
Frauen seien wie Kleber zwischen allem, zwischen Menschen und Dingen. Wunderwesen, die Verbindungen knüpfen. In meinem Kopf ist auch Björk so ein Klebstoff, der vieles in meinen Gedanken zu einem großen Ganzen verbindet. Von der popkulturellen Sozialisation bis zu meiner Vorstellung vom Frausein und Kreativsein, vom kosmischen Gleichgewicht.
Schmerz und Heilung
Sogar wenn sie mir, wie auf ihrem neuen Album „Vulnicura“ (im Januar nach einen Leak bereits digital veröffentlich) von Schmerz, schwarzen Gefühlen und emotionaler Erstickungsangst erzählt, spricht sie für mich vom Leben, vom Weitermachen und von Heilung. “When I’m broken I am whole,” singt sie im Album Closer “Quicksand”, “and when I’m whole I’m broken.” Der Kleber hält alles zusammen.
Und vielleicht ist „Vulnicura“ gar nicht nur dieses Konzeptalbum einer sterbenden Liebe, als das es viele verstanden haben. Natürlich verarbeitet Björk hier vordergründig ihre gescheiterte Beziehung mit dem Künstler Matthew Barney, die beginnende eisige passiv-aggressive Stille zwischen den baldigen Ex-Lovern, die Frustration und verblassende „History of Touches“. Und natürlich gibt es dazu wieder sirenenhafte Musik zu bestaunen: hochdramatische Streicher-Arrangements, knackende und berstende Elektronik und Björks melodisch verdrehte, feenhafte Gesangsschleifen.
Am Ende geht es aber darum, alles (wieder) zusammenzufügen oder wie sie in „Atom Dance“ singt: „I am fine-tuning my soul to the universal wavelength.” Und Mary Poppins schaut lächelnd von oben herab.
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