Her mit dem Frühling, her mit der Musik! Betondelta war am Freitag auf dem Berlin-Konzert des britischen Soul- und R’n’B-Sänger Jamie Woon. Wir haben es genossen, eine Nacht drüber geschlafen und dann uns unterhalten: uns Fragen gestellt und Eindrücke ausgetauscht. Eine Konzertkritik als Gedanken-Ping-Pong. Let’s go!
Emily: Also meine erste Frage an dich ist, ob dir Bilder, Assoziationen in den Sinn gekommen sind bei der Licht- und Bühnensituation?
Annett: Mmmh. Tatsächlich fand ich das im Vergleich zu anderen Konzerten relativ assoziationsarm. Es war halt: Mann mit Gitarre und Band auf der Bühne im wechselnden Lichtsituationen, was ja nicht schlecht sein muss… Wie ist es denn bei dir?
Emily: Ich hab als Erstes gedacht – ein bisschen wie eine Unterwasserwelt. Wenig auf der Bühne, auch die Musiker sind ganz schlicht gekleidet. Alle in dunklen Farben, mit Hemd oder T-Shirt. Kein Glamour, nur blaues Licht von hinten. Die Lichtshow hat sich im Laufe des Konzerts viel geändert. Zwischendurch dachte ich an Sonnenlicht, weil es so ein starkes Licht von hinten gab, was immer wieder schön wohlig warm war. Das passte dann auch sehr zu der positiven, uplifting Atmosphäre. Wie warme Milch mit Honig.
Annett: Zu Jamie Woon passt das, um mal auf die Musik zu sprechen zu kommen, auch sehr gut: Sein zweites Album ist ja viel, viel wärmer und souliger vom Sound her als sein erstes. Und es ist ein Band-Album, man hört Gitarre, Bass und Schlagzeug und nicht mehr so viele Laptop-Sounds wie früher. Also: „richtige“ Musik, irgendwie mehr zum „Anfassen“. Und beim Konzert hat man diese Wärme, dieses „echte“ Gefühl gespürt. Hast du denn vorher mit mehr Elektronik gerechnet und warst überrascht?
Emily: Ja, schon. Ich hab mir das neue Album nur kurz angehört und habe mehr schleppende Bässe erwartet. Die gab es kaum. Umso mehr hat mich beeindruckt, wie die Band und die beiden Background-Sänger so viel Energie erzeugt haben mit ihren sweeten Background-Moves, obwohl es so eine minimalistische Bühnensituation war. Super! Hast du eine Idee, warum er zwei Background-Sänger gewählt hat? Ich frage mich immer noch, bei welcher anderen Band das so zu sehen ist. Mir fällt einfach keine ein…
Annett: Du meinst, dass man das viel weniger sieht, als zwei Sängerinnen oder Sänger plus Sängerin?
Emily: Genau – zwei Typen. Ich kann mich nicht entsinnen, das schon gesehen zu haben. Du?
Annett: Kommt schon vor, aber viel seltener. Interessant finde ich, dass das Geschlecht da eigentlich völlig egal zu sein scheint. Irgendwie machen Background-Sänger immer was ganz spezielles mit der Bühnendynamik. Sie bringen auf fast magische Weise den Funk rein.
Kannst du dir das Konzert denn ohne die beiden vorstellen? Also: Wie beurteilst du die Showman-Qualitäten von der Hauptperson: von Jamie Woon selbst?
Emily: Jamie hat äußerlich eher so Schwiegersohn-Qualitäten. Was mich so beeindruckt hat, ist wie sehr er in seinem Element ist. Er ist lässig und entspannt. Vertraut auf die Kraft seiner Stimme und seiner Musik und mehr bedarf es dann auch gar nicht. Er hat ja zwischendurch höchstens mal einen Satz ans Publikum gerichtet, mehr gemurmelt als gesprochen und trotzdem hat es mitgerockt, mitgesungen und war voll da.
Annett: Das stimmt. Ich habe das irgendwo mal so gelesen, dass Jamie Woon vor allem deswegen so gut ist, weil er weiß, dass es beim Soul nicht darum geht, Emotionen auf möglichst laute Weise auszudrücken, sondern darum, wie präzise sie ausgedrückt werden.
Emily: Das die Stimmung so gut war, hat sicher auch mit der Dramaturgie der Show zu tun. Die fand ich gut austariert mit „Night Air“ direkt als zweiten Song.
Annett: Ja, das war schon überraschend: Seinen bisher größten Hit – seinen Signature Song, wenn man so will – spielt er gleich zu Beginn. Damit er es ja schnell hinter sich hat. Wow, was für ein Move! Manche würden das als ziemlich bekloppt bezeichnen, diese Karte so früh auszuspielen. Aber es geht eben um die Frage: Wie mit der Situation umgehen, dass man mit dem ersten Album in die Schublade „Post-Dubstep“ neben James Blake gesteckt wurde und sich nun mit dem zweiten Album davon völlig abgrenzen will? Er hing da ja immer irgendwie zwischen den Stühlen: Was der Mainstream und was er selbst wollte. Was meinst du, wie würdest du damit umgehen?
Emily: Mir fällt kein besserer Move ein, als den, den Woon gebracht hat: Es war klar, dass der Song kommen muss und wenn er selbst sich musikalisch woanders sieht, fühlt und hin sehnt, dann raus damit. Damit starten passt nicht, also als Nr. 2! Sehr schön fand ich auch die stillen Momente zwischendurch. Nur er mit Gitarre. Und besonders: das Aaliyah „Try again“-Cover. YEAH!
Wie ging es dir mit dem Cover? Und es war ja auch ein Prince Cover dabei, ne?
Annett: Was ich an dem Aaliyah-Cover Background-Sänger bemerkenswert fand: dass es ihm so gut gestanden hat. Woon hat zwar eine schöne Stimme, aber es ist eigentlich keine Soulstimme im klassischen Sinn, wie all die großen R’n’B-Stars sie haben und hatten. Er singt oft eher leise, zurückhaltend und murmelnd, manchmal sogar ein bisschen träge. Aber „Try Again“ saß wie eine zweite Haut. Das war schon Wahnsinn.
Und ja: Prince! Man hatte es ja irgendwie geahnt, dass das kommt. Und dann taucht er die Bühne in „purple“ Light und ab dafür. Interessante Songauswahl auch: „Pop Life“ ist ein guter, schneller funky Song, aber gehört jetzt nicht zu den großen Hits von Prince.
Emily: Genau. Passte aber auch so gut zu ihm.
Annett: Ja, vor allem weil ich das Gefühl hatte, dass er da das erste Mal so richtig locker wurde auf der Bühne, beim Tanzen. Vielleicht weil er sich nicht mehr an seiner Gitarre festhalten konnte.
Emily: Und interessant, dass Prince für ihn offenbar auch wichtig war, obwohl er ja totaler Michael Jackson Fan ist, wie er hier der BBC erzählt.
Annett: Ja, das ist dieser spannende Effekt, über den wir gestern schon gesprochen haben: Wenn man in den 80ern dabei gewesen ist, dann war es eigentlich dasselbe wie mit den Beatles und den Stones in den 60ern: entweder, oder! Prince und Micheal Jackson waren ja riesige Rivalen. Aber wenn man zu den Nachgeborenen gehört, dann geht immer beides. Dann geht immer alles auf einmal! Das ist ja eigentlich das Tollste an den Musikern unserer Generation.
Dass er großer Prince-Fan ist, hört man am besten in „Sharpness“ (letzter Song vor der Zugabe). Das ist ein ordentlicher Sex-Funk. Der hat mir am besten gefallen. Und dir?
Emily: „Sharpness“ hat mir auch sehr gut gefallen. Aber mein Lieblingsmoment war definitiv „Try again“. So ein Genuss und für mich kam der Song auch richtig unerwartet. Saubere Überraschung. Gab es für dich etwas Unerwartetes, Überraschendes?
Annett: Vielleicht am meisten, wie du ja schon gesagt hast, dass er das Publikum, obwohl er eigentlich so wenig macht, sofort im Sack hatte. Das erlebt man gar nicht so oft, wie man glaubt – diese helle Begeisterung.
Emily: Es gab auch kaum Leute die gefilmt haben oder Fotos gemacht haben – auch so ein Zeichen, wie sehr alle bei ihm waren. Vielleicht zum Schluss noch die Frage: Was ging gar nicht?
Annett: Haha! Du hast Recht, muss man ja auch klären. Mmmh. Fällt dir da sofort was ein?
Emily: Dein Kumpel Philipp hat’s gesagt: Der Haarschnitt.
Annett: Stimmt!
Emily: Da kamen die Schwiegersohn-Qualitäten ein bisschen arg raus…
Annett: Und darin, dass er nicht so sehr der funky Showman ist. Da muss er noch ein paar Prince-Videos anschauen.
Emily: Jo! Gute Idee.
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