• Anita Ackermann "What We See, Sees Us" Installation

Was das Ohr nicht hört

21 Posted by - 27. Januar 2015 - Pop

Das CTM-Festival erforscht auch dieses Jahr wieder Möglichkeiten und Grenzen an der Schnittstelle von Musik, Klangexperimenten und Gegenwartskunst. Betondelta hat für euch ein paar Eindrücke von der Festivalausstellung gesammelt und stellt die Highlights des diesjährigen Programms vor.

Seit letztem Wochenende läuft in Berlin wieder das CTM-Festival – „Festival for adventurous Music and Art“, wie es in der Selbstbetitelung heißt. Es geht also um experimentelle Musik, um radikales Ausprobieren mit Klang und Wahrnehmung und darum, wie wir in Zukunft Musik hören werden. Die 16. Ausgabe des prall angefühlten Festivalsprogramms mit Konzerten, Clubnächten, Performances, Diskussionen, Workshops und Vorträgen durchforstet dieses Jahr unter dem Titel „Un Tune“ die Untiefen moderner Soundkunst: Es geht um die „körperlichen Effekten von Frequenzen, Klang und Musik sowie deren synergistischem Zusammenspiel mit anderen Sinnesstimuli“ – um all das also, was da eigentlich mit und in unserem Körper passiert, wenn wir Musik hören. Im Mittelpunkt stehen also unter anderem auch so irrwitzig klingende Phänomene wie Bioakustik, Brainwave Entrainment, Binaural Beats, Biofeedback, Psychoakustik, hypnotische Repetition, Sound Repellents und Subbass-Vibrationen. Klingt kompliziert? Klingt abgefahren? Macht neugierig? Willkommen bei CTM! Hier ist alles möglich.

Zum Programm gehört wie jedes Jahr auch wieder eine Ausstellung zum Festivalthema im Kreuzberger Kunstquartier Bethanien. Als Einstieg macht sich das immer ganz gut – auch wenn man danach eigentlich nie weniger Fragen hat als zuvor. Was woanders nervig wäre, zielt beim CTM-Festival aber ins Schwarze: Denn es geht ja um genau diese Neugier. Was wir nicht verstehen, fordert uns heraus.

Für die Ausstellung haben Künstler wie Anita Ackermann und Derek Holzer mit den emotionalen und körperlichen Wirkungen von Sound und Frequenzen herumexperimentiert und hinterfragen damit unser gängiges Verständnis von Körper und Stoff, von Energie und Maschinen, von Kommunikation und Atmosphäre. Mit Derek Holzers Installation „Delilah Too: An Archaeology of Privacy“ etwa begibt sich der Besucher in eine merkwürdig abgeschottete Versuchsanordnung: In einem dunklen Raum stehen zwei isolierte Sound-Kabinen, durch die man miteinander kommunizieren kann – allerdings ganz und gar nicht klassisch, sondern verschlüsselt durch MP3-Algorithmus-zerhexelte Frequenzen: Was in der einen Kabine in ein Mikrophon gesprochen wird, kommt im Raum nur als ein primitives Dröhnen und Quietschen an. Durch eine „Voice Encoding System“ kann es für den Zuhörer ind er zweiten Kabine wieder zurückübersetzt werden – menschlich klingt das ganze dann aber trotzdem nicht mehr.

Derek Holzer "Delilah Too: An Archaeology of Privacy",

Derek Holzer „Delilah Too: An Archaeology of Privacy“

Bei der Installation „What We See, Sees Us“ von Anita Ackermann (siehe Beitragsbild) geht es eher um das Verhältnis von Wahrnehmung der eigenen Bewegung und der von anderen: I einem dunklen Raum umgibt den Besucher sphärische Ambient-Musik, die aus vier Richtungen kommt. In der Mitte des Raumes steht ein riesiges, parabolisches und konzentrisches Spiegelobjekt, das immer neue Lichtreflexionen an die Wände wirft. Denn die Besucher, die sich im Raum bewegen haben Taschenlampe an Kopf und Händen. Mit Form, Helligkeit und Farben scheint sich so auch der Sound zu verändern.

Wie bei der Ausstellung sollen auch bei den Musik-Performances Körper und Psyche gleichzeitig angetriggert werden. Betondelta hat für euch die musikalischen Highlights zusammengesucht.

Für alle Kurzentschlossenen: Bereits heute Abend spielt das Londoner Elektro-Duo Simian Mobile Disco im HAU ihr 2014 veröffentlichtes Album „Whorl“, für das sie sich von der Electronica hin zu analogem, organischen Soundtexturen bewegten (und das zum größten Teil in einer kalifornischen Wüste aufgenommen wurde). Gezeigt wird es mit der Premiere einer extra konzipierten audiovisuellen Show. /// Dienstag, 27.1., ab 21:00 Uhr, HAU1

Ebenfalls im HAU spielt morgen die bezaubernde Lucrecia Dalt. Die geborene Kolumbianerin und Wahlberlinerin macht bunt schillernden, fein verwobenen, experimentellen Elektropop, der ebenso wohltuend wie handwerklich spannend ist. /// Mittwoch, 28.1., ab 19:30 Uhr, HAU1

Später am Abend interpretiert dann Alec Empire, Mitglied der Anarcho-Techno-Punk-Band Atari Teenage Riot und einflussreicher deutscher Digital Hardcore-DJ, im Berghain sein Album »Low On Ice« neu, jenes bahnbrechende, mit unbekannten Frequenzbereichen experimentierende Ambient-Albums, das in diesem Jahr sein 20. Jubiläums feiert. Performt wird zusammen mit Breakbeat-Tüftler und Violinist Zan Lyons. /// Mittwoch, 28.1., ab 22:00 Uhr, Berghain

Nicht entgehen lassen sollte man sich ebenfalls den nicht umsonst gehypten Beat-Produzenten Evian Christ, der des Öfteren in einem Atemzug mit Björk-Collaborator Arca genannt wird. Am selben Abend spielt auch Gazelle Twin. /// Donnerstag, 29.1., ab 22:00 Uhr, Berghain

Ein weiterer Geheimtipp ist der merkwürdig verführerische, hyperrealistische Post-Internet-Entfremdungs-Pop von 18+: hier ist alles polymorph und gespenstisch geschmeidig. Am selben Abend kann man auch den Begründer des Sad Rap erleben: Yung Lean. /// Samstag, 31.1., ab 23:00 Uhr, YAAM

Und zu guter letzt wird das britische Duo Emtyset am Sonntag in einem „live sonic sculptural process“ unter dem Titel „Signals“ Radiowellen durch die Ionosphäre schicken. /// Sonntag, 1.2., ab 17:00 Uhr, HAU1

Das CTM-Festival läuft noch bis Sonntag, den 1. Februar. Tickets zu den Veranstaltungen bekommt ihr bei Koka36, im HAU2 (für Veranstaltungen im HAU1 und HAU2) und hier.

Das gesamte Programm findet ihr hier.

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