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Was geht mit OCCUPY?

37 Posted by - 11. September 2014 - Pop

„Wir sind die 99%“, schallte es im Herbst 2011 über sämtliche Plätze weltweit. Am 17. September startete die Protestbewegung OCCUPY mit der Besetzung des Zuccotti Parks in der Nähe der New Yorker Wall Street – mitten im Zentrum der amerikanischen Finanzwirtschaft. Drei Jahre  ist das in diesen Tagen her. Wir fragen uns: Was geht mit OCCUPY? Und sprechen mit Lars Geiges vom Göttinger Institut für Demokratieforschung.

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BETONDELTA: Kurz vorweg – worüber haben Sie promoviert?

LARS: OCCUPY in Deutschland war das Thema meiner Dissertation. Die Protestbewegung zum einen und die Akteure zum anderen. Sprich: wie wird sich organisiert, wie hat man miteinander kommuniziert, wie sind Entscheidungen in der Gruppe gefallen? Was waren Probleme, auch in den Protestcamps selbst? Ich habe Interviews und Gruppendiskussionen mit OCCUPY-Aktivisten geführt.

Mich hat interessiert: Wie schauen sie auf Politik im Allgemeinen, auf Staat, Gesellschaft? Ich wollte in die Köpfe der Aktivisten schlüpfen und die Weltsicht der Occupyer beschreiben, um dann die übergeordnete Frage beantworten zu können: Was treibt sie an? Warum machen sie das? Die Aktivisten haben ja zum Teil bei Minus 20° in den Zelten campiert und weiter gegen die Bankenmacht protestiert. Dafür habe ich alle deutschen überdauernden Camps mehrmals besucht und teilnehmend beobachtet.

Was ist an OCCUPY anders im Vergleich zu anderen Protestbewegungen?

Das ganze Jahr 2011 fing mit den Protesten in Ägypten an, die medial  große Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Dann gab es in Israel auch schon Platzbesetzungen. Das alles waren Proteste mit unterschiedlichen Kontexten und je nach Land auch sehr speziell. Für OCCUPY kulminierte das im Herbst 2011 in New York. Da war für mich interessant, welche Vorläufer die Bewegung hatte. Wenn man sich die Zeitung von damals anschaut, dann bekommt man den Eindruck, dass die Bewegung aus dem Nichts entstanden ist. Plötzlich sind die Menschen mit Ihren Zelten da.

Ganz so war es natürlich nicht – weder in New York, noch in Frankfurt oder London. Alle Proteste haben Vorläufer. Die sind nur nicht immer so sichtbar. Gerade die großen Medien haben erst Interesse, wenn viele Menschen mit griffigen Parolen kommen. Die 99% wurden beispielsweise schon Jahre zuvor angetestet.

Im Herbst 2011 gab es ein Art Gelegenheitsfenster, das all die Aktivitäten, die für uns nicht so sichtbar waren, kanalisiert hat. Das Schlagwort OCCUPY kam von der Adbusters Media Foundation, die selbst gar nicht in New York, sondern in Vancouver, Kanada sitzen. Das Unwohlsein über die Tätigkeit der Banken, das, was im Finanzsektor abläuft, war natürlich auch längst in die Mitte der Gesellschaft geströmt. So wurden die Proteste möglich und groß genug, um weiterzustreuen. Das Fehlverhalten der Polizei hat dann noch zu einer großen Sympathiewelle geführt, so dass OCCUPY einen starken Aufwind bekam.

Im Oktober gab es dann noch einen weltweit wirkenden, spanischen Protestaufruf und dann gab es OCCUPY-Initiativen von Malmö bis Sydney, von Kuala Lumpur bis Porto Alegre. Von ganz unterschiedlicher Dauer, ganz unterschiedlicher Intensität und mit ganz unterschiedlichen lokalen Motiven. An manchen Orten nur für eine Nacht. Aber andereswo, in Frankfurt, dem prominenteste OCCUPY-Ort in Deutschland, dauerte die Platzbesetzung knapp ein Jahr.

Copyright: Dulcie Lee

Warum ist OCCUPY trotz dieser weltweiten Welle von Aktionen und dem großen Sympathiezuspruch wieder abgeebt?

Das lässt sich am besten mit dem beschreiben, was OCCUPY nicht hatte: das einende Band des Dagegenseins. Wenn man zum Beispiel auf die Anti-AKW schaut, dann konnten die unterschiedlichen Gruppen sich immer unter einer Überschrift zusammenschließen und die lautete: Alle AKWs müssen abgeschaltet werden. Egal wie heterogen die Gruppe war, darunter konnten sich alle vereinen. Bei der Friedensbewegung war das: Kein Krieg. So lassen sich unterschiedliche Interesse bündeln.

Bei Occupy war das unklarer, von Anfang an. Die Strategie war hier: Wir haben gerade keinen Anführer, keine festen Forderungen. Wir wollen erstmal einen Raum schaffen, ihn uns nehmen, um wieder frei diskutieren zu können. Frei von den Zwängen, die man in der Politik gesehen hat, frei von Verbindlichkeiten, von Lobbyeinflüssen.

Man wollte  erstmal Plätze besetzen – im physischen, aber dann natürlich auch im thematischen Sinne. Um über Prinzipien der Offenheit, der Horizontalität, der Basisdemokratie zu sprechen und zu klären: Was will man eigentlich? Bei vielen Demonstranten gab es vor allem erstmal das Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann. Was genau passieren muss, darüber wollte man erst reden. Mit allen reden, lange reden und sich Zeit nehmen. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Initiativen und hat dann auch zu bestimmten Problemen geführt, die mit dieser Haltung einhergehen.

Was waren das für Probleme bei OCCUPY?

Die Grundhaltung war, dass jeder, gerade in der Versammlung, reden durfte über was und so lange er wollte. Das ist eine schwierige Sache. Ich hab das oft genug miterlebt, dass die Versammlungen stundenlang gingen. Jeder musste gehört werden zu jedem Punkt und das ist zermürbend. Gerade, als der Herbst und der Winter in die Camps einkehrte.

Dieses Prinzip der Offenheit führte auch dazu, dass Personenkreise sich anschlossen, die man eher ablehnte. Ich rede von Rassisten, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker, mit krudem Gedankengut. Mit denen musste man in den Camps umgehen. Das führte natürlich zu Diskussionen: Wie geht man mit diesen Leuten um? Muss man sie ausschließen oder einladen und in Diskussionen bloßstellen? Das hat viel Kraft gekostet, die vielleicht in den politischen Zielformulierungen gefehlt hat.

In den USA ging es ja beispielsweise um die hohe Verschuldung der jungen Menschen, die jetzt so in Deutschland nicht anzutreffen ist. Es gab also ein paar Themen, die zwar auch in Deutschland auftraten aber eine andere Gewichtung hatten. Das einende Band war die Forderung: Echte Demokratie jetzt! Das war dann beinahe wortgleich zu den USA. Wenn man dann aber genauer nachgefragt hat, bleibt es vage. Da wurde vom Schweizer Modell gesprochen, Volksabstimmungen, manche haben auch eine Rätedemokratie ins Spiel gebracht. Aber die Parole „Mehr Demokratie“ hat erstmal als Hoffnungsspender gewirkt, auch wenn Occupyer sie nicht erfüllen konnten.

Copyright: Timothy Krause

Was kann OCCUPY als Erfolg verbuchen?

Erfolg, gerade bei Protesten oder Bewegungen, ist immer schwer zu benennen. Die Friedensbewegung in den achtziger Jahren hatte streng genommen auch keinen Erfolg. Die Raktenen kamen ins Land und das wollte man ja unbedingt verhindern. Aber dennoch hat sich schon etwas durch die massenhaften Proteste getan. Ein ganz anderer Blick auf den Umgang mit Waffen und Waffenstationierungen in der Bundesrepublik hat sich entwickelt. Deswegen ist es immer schwierig aus dieser relativ kurzen Zeit – die Anfänge von OCCUPY sind ja erst drei Jahre her – so etwas wie Erfolg zu definieren.

Schaut man auf das, was tatsächlich Politik geworden ist, muss man sagen, dass da nicht viel zu finden ist. Weder auf lokalen Ebenen, noch in der größeren Landes- oder gar Bundespolitik. Aber auf der Ebene der Wahrnehmung ist schon etwas passiert. Vielleicht werden wir uns in fünf oder zehn Jahren unterhalten und dann sagen: Mit OCCUPY 2011 ging der große, umfassende Protest los. Hier startete die Bewegung, die sämtliche Kritikfelder von Klima über Finanzprobleme, weltweite Migrations- und Ernährungsprobleme formulierten. Das halte ich nicht für abwegig, es ist aber zur Zeit nicht sichtbar. All die Probleme, die OCCUPY formuliert hat, die alle globale Ursachen haben und dementsprechend globale Lösungen fordern, sind ja nicht verschwunden. Im Gegenteil, sie werden ja eher noch stärker.

Wenn man mit den Aktivisten spricht, dann erzählen viele, was für ein einschneidendes Erlebnis das war. Wie toll es war, dabei gewesen zu sein. Mit leuchtenden Augen bekommt man dann erzählt, von diesem einmaligen Moment. Jetzt sei man engagiert und ob die Gruppe OCCUPY heisst oder anders, sei egal, weil jetzt habe man sein persönliches Erweckungserlebnis gehabt und werde sich fortan einmischen.

 

DANKE an Lars Geiges für das Gespräch.

Ein Bündnis, in dem sich mittlerweile auch viele ehemalige OCCUPY-Aktivisten engagieren, nennt sich BLOCKUPY, das im November auch zu einem großen Festival einlädt:

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