Jesus des digitalen Zeitalters

16 Posted by und - 25. September 2016 - Protagonisten

Einen Abend lang war Edward Snowden per Videoschalte in der Berliner Volksbühne zu Gast. Ein Diskussionsabend über Demokratie, Überwachung und falsche Ikonen. In den letzten Wochen hat Edward Snowden es immer wieder in die Schlagzeilen geschafft. Ein geheimer Bericht eines für Geheimdienste zuständigen amerikanischen Parlamentsausschusses versuchte ihn zu verunglimpfen. Demnach er so ziemlich alles in seiner Laufbahn erschwindelt und erlogen haben – sogar seinen Highschool-Abschluss. Fast schon zu banal und leicht zu widerlegen sind diese Behauptungen. Dann veröffentlichte die Washington Post einen Leitartikel, in dem sie erklärte, dass Snowden nicht begnadigt werden solle. Ex-BND-Chef Gerhard Schindler hält Snowden sogar für einen Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes. Und in dieser Woche startete auch noch Oliver Stones Film „Snowden“ in den deutschen Kinos.

Der schlimmste Boyfriend der Welt

Am Donnerstagabend war Snowden dann live zu einer Talkrunde in der Volksbühne zu geschaltet – unter dem koketten Titel: „From Moscow With Love“: Auf der Bühne saßen die Theaterregisseurin Angela Richter, die seit einigen Jahren mit Snowden und Assange arbeitet, Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der Snowden in Deutschland vertritt und Jakob Augstein als Moderator. Trotz der Schwere des Themas war die Stimmung im vollen Saal richtig gut – so gut, wie sie eben sein kann, wenn man sich über Massenüberwachung und die damit verbundene Gefährdung des Grundrechts auf Privatsphäre unterhält.

Snowden witzelte auf die Frage, wie es ihm damit gehe, Hauptfigur des Kino-Blockbusters zu sein, dass es ihm eigentlich unangenehm sei und er in romantischer Hinsicht als der „schlimmste Boyfriend der Welt“ wegkommen würde. Und auch hier hat man wieder den Eindruck, dass das größte Opfer, das Snowden wohl im Zuge seiner Enthüllungen gebracht hat, nicht so sehr das Exil ist, in das er sich damit manövriert hat, sondern viel eher die Aufmerksamkeit, die einen klugen, scheuen Menschen wie ihm, sehr unangenehm sein muss. Was den Film angeht, ist klar: Auch wenn sich der Gedanke komisch anfühlt, aus dem wahrscheinlich bedeutendsten Whistleblower unserer digitalen Geschichte einen heroischer Biopic-Geheimdienst-Thriller mit 50 Millionen Dollar Budget zu machen, so schafft es Stones Film doch auf sehr beeindruckende Art, uns den ganzen Wahnsinn dieser allumfassenden Überwachung noch einmal vor Augen zu führen. Diesmal lernt man noch mehr über die Vorgeschichte von Snowden. Und man ist von neuem verstört und bestürzt – und staunt über den Mut und über den Menschen. Und als ob er es ahnte, bat Snowden sogleich:

Can we please not talk about me.

Sondern lieber über das, was auf dem Spiel stehe:

Trust and reliability – those are the wheeles that our democracy rolles on.

Schwarze Propaganda

Auch im weiteren Verlauf der gut 100 Minuten langen Unterhaltung folgten noch einige richtig starke Momente. Snowden ist völlig klar, sagte er, dass es eine Frage der Zeit sei, welche Rolle er beispielsweise für US-Präsident Obama spiele, der ihn bisher noch als Dissidenten sieht, andere Whistleblower für ihre Enthüllungen aber lobt. Augstein nannte Ex-„Washington Post“-Chefredakteur Ben Bradlee und die Veröffentlichung der sogenannten „Pentagon Papers“ Anfang der 70er. Nach Bradlees Tod würdigte Obama seine Arbeit. Daniel Ellsberg aber, der die Papiere damals an die New York Times und die Washington Post geleakt hatte, versuchte man damals, ähnlich wie Snowden jetzt, mit jeder Menge „schwarzer Propaganda“ zu diskreditieren. Wohl auch, weil der sich mehrfach kritisch gegenüber Obama geäußert hatte: Obama sei, hat Ellsberg einmal gesagt, schlimmer als Nixon.

Einer der Hauptvorwürfe gegen Snowden – er hätte den „War on Terror“ gefährdet – ist für Snowden völlig unbegründet. Selbst seine Gegner könnten das nicht:

We have never seen evidence of a single individual case in any country around the world where an individual has come to harm as a result of any single news story. If what these journalists did in publishing these stories was truly so dangerous, so damaging that it was costing lives, that it was putting soldiers at risks – if it had happened, I can assure you as someone who worked for the NSA and CIA, that government officials routinely leak classified information for political purposes. If they had any evidence […] it would be on every news channel.

Wie wenig seine Gegner gegen ihn in der Hand haben, bestätigt der oben erwähnte Bericht.

Unsichtbar in der Lärmwolke

Trotz der massenhaften, weltweiten Überwachung hätten die Anschläge von Boston, Brüssel oder Paris nicht verhindert werden können, merkte Augstein an und fragte: Warum schlüpfen immer noch einige Attentäter durchs Überwachungsnetz? Oder anders: Gäbe es denn mehr Anschläge ohne Überwachung? Snowden brachte wieder ein druckreifes Statement:

We don’t need more surveillance. There is too much surveillance. Because we are monitoring everyone there is so much noise everyday that’s been created by all of your Internet actions, by all of your communications the terrorist are able to operate unnoticed within this cloud of noise.

Damit wir Normalbürger uns nicht einmischen, würde die Diskussion um Massenüberwachung möglichst kompliziert gehalten. Dabei, so Snowden, könne man gar nicht oft genug betonen, wie wichtig und grundlegend dieses Grundrecht auf Privatsphäre und wie erschütternd unser Umgang mit unseren Daten im Angesicht seiner Enthüllungen sei:

We create perfect records of ourselves that don’t belong to us and that we have no control of. We have to understand what privacy truly is. Privacy is about who you are. Privacy is the right to the self and to develop a free mend. Privacy is what makes you equal to the world.

Betet ihr noch oder verschlüsselt ihr schon?

Ein Bild, welches sehr gut zu der Rolle passt, die Snowden mittlerweile für viele eingenommen hat (angekündigt wurde er auch an diesem Abend als „hero of our times“), brachte Moderator Jakob Augstein mit dem Hinweis auf die sakrale Stimmung im Theatersaal auf den Tisch: Zum Publikum gerichtet verglich Augstein Snowden mit einem gekreuzigten Jesus des digitalen Zeitalters, der sich für uns geopfert habe und zu dem wir alle beten würden, um dann draußen wieder unseren Sünden nachzugehen – sprich unsere Daten preiszugeben. Übertrieben ist dieses Bild sicher, aber nicht ganz unstimmig: Wie der Bildschirm mit dem großen milden Gesichtszügen von Snowden da über den Köpfen der Publikumsgemeinde hing – wie ein Kruzifix, wie die Zuschauer an seinen Worten hingen, wie sie auf Antworten warteten – das hatte großen Symbolcharakter.

Snowden lacht von seinem Bildschirm und wiederholte das, was er schon oft gesagt hat: Dass wir ihn nicht als Ikone oder Held feiern sollen. Dass es ein Fehler sei, sich auf eine Person zu konzentrieren anstatt auf die Diskussion. Sein Appell:

I was just a guy going to work like everyone here does. Don’t wait for heroes. Don’t ever wait. What we should value are the actions.

Mutti und die Emails

Blieb die Frage: Wie soll ich meiner Mutter erklären, wie sie ihre Emails verschlüsselt? Auch auf diese Frage hatte der scheue, ernsthafte Mann im dunklen Anzug eine Antwort: Die Verschlüsselung unserer Daten müsse dauerhaft so von Experten gelöst werden, dass sie im Hintergrund läuft, ohne dass wir uns darum kümmern müssen.

Some of these questions can only be answered by experts, by public representatives, by people working for the public benefit: researchers, technologists, engineers, and scientists.

Trotzdem sollten wir es uns nicht auf unseren Sessel bequem machen, denn es ist völlig klar, wofür die Überwachungsprogramme letztlich da sind – es gehe um wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht, um soziale Kontrolle und sicher nicht um die Bekämpfung von Terror.

 

 

 

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