Das Interview beginnt mit einer Slapstick-Einlage. „Ich kann Regen nicht ausstehen“, sagt der Kalifornier. Nein eigentlich singt er es: „I can’t stand the rain!“ – wie ein Wannabe-Soulcrooner, mit hoher Stimme und zusammengekniffenen, leidenden Augenbrauen. Und weil er grad in Stimmung ist, schiebt er gleich noch ein bisschen Barbershop-Lautmalerei hinterher, diesmal mit tiefer Basstimme: „No-no-no—no no, ba-ba“. Eigentlich war die Frage nach dem Londoner Nieselwetter nur als kleine Lockerungsübung für den sonnenverwöhnten Amerikaner gedacht, er aber macht es gleich zur lässigen Showeinlage. Laissez-faire, wie man es in Los Angeles wohl von der ewigen Pazifikbrise eingeflößt bekommt. Er hätte gerade an Missy Elliot denken müssen, entschuldigt er sich und es kann nun endlich mit den ernsten Fragen losgehen.
Ich treffe Steven Ellison, bekannt unter seinem Produzentennamen Flying Lotus, in einer hippen Hotellobby im Londoner Osten. Nerd-Kultur ist hier längst Teil des schicken Interieurs. Und mitten drin lümmelt sich ein etwas müder Ellison („der verdammte Jetlag“) auf einer dunkelgrünen Samt-Sitzecke. Er bestellt Caesar Salad, mit viel Dressing – ein Amerikaner auf der Suche nach ein klein wenig Heimatgefühl im fernen Europa. Und als ihm dann beim Essen einmal ein Salatblatt schräg aus dem Mund ragt wie die Zunge eines übergeschnappten Chamäleons, beugt er sich laut kichernd über seinen Teller wie ein bekiffter Teenager. Er ist auf die denkbar angenehmste Weise diese Art lockerer Kumpel-Typ, die jetzt auch kein Problem hätten zu Rülpsen. Vor allem aber ist er ein modern computer kid: unkonzentriert und wuselig, aber freundlich. Ständig, so scheint, ist er mit den Gedanken woanders, bei der nächsten Idee, beim nächsten Track, beim nächsten Gig. Vielleicht hat er manchmal gleich drei oder zehn Gedanken gleichzeitig. Wahrscheinlich ist seine Musik aus genau diesem Grund so aufregend. Unter Musikkennern jedenfalls hat Flying Lotus den Ruf als Jimi Hendrix des 21. Jahrhunderts weg. Es ist auch – wie so oft – eine Geschichte von Genie und Wahnsinn. God save the crazy ones!
In diesen Tagen ist „You’re Dead!“, das neue Album von Flying Lotus erschienen – ein furioses, ein chaotisch zwischen den Genren hin- und herschlenkerndes Werk. Und ziemlich sicher einer der ganz großen Würfe im Popjahr 2014. Im nervösen Kosmos zwischen Jazz, Elektro, R’n’B, Hip Hop-Beats und psychedelischen Prog Rock-Gitarren vollzieht Ellison auf dem Album eine Art musikalische Reise ins Jenseits. Es ist ein Gedankenexperiment, wer oder was denn da auf uns wartet, wenn wir sterben. Morbide ist das aber weniger. Vielmehr ist es ein irrer Trip. Der Tod – für Flying Lotus ist er Übergangszone.
Flying Lotus – You’re Dead! from Warp Records on Vimeo.
BETONDELTA: Wie bist du auf den Tod als Thema für dein Album gekommen?
FLYING LOTUS: Eigentlich hat es als eine Art Witz angefangen. Ich habe mit meinem Kumpel Thundercat, mit dem ich zusammen an dem Album gearbeitet habe, herumgealbert. Unser Plan war es, ein Album zu machen, das sprichwörtlich allen den Kopf wegbläst – sie umbringt vor lauter Überwältigung. Und als wir anfingen, an den Songs zu arbeiten, klangen sie einfach sehr dunkel und aggressiv. Also dachten wir, wenn sich die Songs so anfühlen, dann sollten wir tatsächlich ein Album über den Tod machen. Die Musik hat das Thema ganz von selbst geformt.
Wie kommt es, dass du eine so positive Einstellung zum Tod hast?
Für mich war das niemals etwas Negatives. Der Tod ist eben das Einzige, auf das wir uns wirklich verlassen können. Das Einzige, das ganz sicher ist. Manche Leute sagen zwar, das wären die Steuern auch, aber wir wissen ja alle, dass das nicht stimmt. (lacht) Ich rede zwar scherzhaft darüber, aber die Sache ist mir wirklich sehr ernst. Ich finde es sehr spannend, mir diese nächste Daseinsstufe vorzustellen.
Und dir ist dabei noch nicht mal ein klein wenig mulmig zumute?
Nein, gar nicht. Ich habe auch selbst keine Angst davor zu Sterben, wenn es dich interessiert. Die Leute reden zwar gerade viel über selbsterfüllende Prophezeiung, weil ich diese Platte gemacht habe. Aber ich verstehe diese übertriebe Angst nicht. Davon kann sich doch eh niemand entziehen. Klar, der Tod macht uns traurig, weil er Abschied bedeutet. Aber andererseits ist der Tod eines Menschen auch immer eine Gelegenheit, ihn und sein Leben zu ehren und feierlich zurückzublicken. Das ist natürlich kein Kindergeburtstag. Ich will auch nicht, dass die Leute das als Scherz verstehen!
Um welche Vorstellung geht es dir mit „You’re Dead!“ genau? Ein Leben nach dem Tod?
Ich will gar nicht soviel darüber sprechen, was ich glaube. Ich will den Hörern nicht aufdrücken, was ich mir alles vorstelle. Stattdessen war mein Ziel, mit all den verschiedenen Vorstellungen zu spielen, wie oder was Tod sein kann. Ich wollte viele unterschiedliche Auffassungen davon vertonen.
Die Platte klingt für mich eher wie ein psychedelischer, schamanischer Trip, als wie eine spirituelle Reise. Ich würde meinen, es geht also eher um Bewusstseinserweiterung als um Stoßgebet, oder?
Lass es mich so sagen, ich habe zu solch schamanischen Wesen auf jeden Fall eine engere Verbindung, als zu Engel und Teufel. Ich glaube, dass man im Totenreich eher auf Schamanen und andere spirituellen Wesen trifft, als auf einen langbärtigen Jesus, der hinter perlmuttfarbenen Toren auf einer Wolke schwebt. Aber eigentlich soll jeder darin was anderes wiederfinden.
Ein bisschen ist das, wie bei einem Kunstwerk von James Turrell, von dem Flying Lotus mit leuchtenden Augen und wilden Handbewegungen schwärmt, das ihn nachhaltig geflasht hat: „Perceptual Cell“ heißt die mobilen Arbeit von Turrell, die in den 1990er Jahren entstand. Es sind abgeschlossene Wahrnehmungskapseln in Form von riesigen Ping Pong-Bällen, in die Besucher einzeln hineingeschoben werden wie in eine MRT-Röhre. Durch wechselnde Lichteinflüsse, Frequenzen und erzeugte Wahrnehmungserfahrungen, die nicht nur visuell sondern auch körperlich empfunden werden. Das Kunstwerk schickt den Betrachter auf einen Trip durchs eigene Bewusstsein. Flying Lotus macht genau dasselbe mit seiner Musik. Passend dazu bietet „You’re Dead“ ein wahnsinnig breites Spektrum. Flying Lotus’ Totenreich klingt in jedem der 19 Stücke anders. Es ist für jeden Hörer was dabei: Mal wie in eine fiebriges Free Jazz-Session („Moment Of Hesitation“), mal wie doper Gangster Rap („Never Catch Me“), mal wie ein schwelgerischer Soulsong („Coronus, The Terminator“), mal wie ein mittelalterlicher Chor („Descent Into Madness“).
Flying Lotus – Never Catch Me ft Kendrick Lamar from Hiro Murai on Vimeo.
Du hast für dein Album mit Jazzlegende Herbie Hancock zusammengearbeitet. Wie war es mit ihm im Studio?
Es war toll mit ihm zu arbeiten. Ich war erst ein wenig eingeschüchtert, weil ich nicht mal Noten lesen kann. Aber ich habe versucht, ihm meine Ideen verständlich zu machen und konnte hören, wie sie wirklich in die Tat umgesetzt wurden. Das hat mir eine Menge Selbstvertrauen in das ganze Vorhaben gegeben.
Was hat dich so fasziniert am Jazz?
Thundercat und ich haben oft einfach nur rumgehangen und verrückte Fusion Jazz-Alben gehört. Wir konnten nicht fassen, wie kreativ diese Musik ist und wie wenig es davon heute noch gibt. Dabei kann man soviel neue Sphären erkunden mit dieser Musik. Wenn man sich die Arbeit der Fusion-Kollektive der 70er anhört, das von Miles Davis zum Beispiel, hat man noch das Gefühl, dass diese Leute wirklich versuchten, Musik auf ein ganz neues Level zu heben.
Jazz ist für dich als Neffe von der Jazzpianistin Alice Coltrane ja auch Teil eines großen Familienerbes. Hast du viel darüber nachgedacht?
Klar, irgendwie ist dieses Album, mehr noch als „Cosmogramma“, ein Versuch mich in diese Coltrane-Genialität einzureihen. Aber vor allem hat mich die Musik inspiriert, die Tante Alice nach dem Tod ihres Mannes John aufgenommen hat. Ich habe viel von ihrer Art Musik zu machen gelernt: diese Leidenschaft, mit der sie ihrer Spiritualität nachging, mit der sie nach Antworten suchte, wie all das in ihre Musik eingeflossen ist. Sie war ja ein sehr gläubiger Mensch, hat viel Zeit und Energie in ihren Ashram gesteckt. Diese Geisteshaltung war wichtig als Inspiration für mein Album.
Das hört man: Dein Album klingt manchmal wie eine Meditation in einem asiatischen Tempel. Und dann wieder wie in einem verrauchten Jazz-Kellerclub, in „Moment Of Hesitation“ etwa, das zusammen mit Hancock entstanden ist.
Wenn es um Jazz geht, haben wir komischerweise immer dasselbe Bild im Kopf: diese, dunklen, engen Clubs und viel Zigarettenrauch. Ich habe mich immer gefragt, welche anderen Bilder man mit dieser Musik assoziieren könnte. Wie können wir da anders rangehen? Es gibt zum Beispiel diese Anime-Serie “Cowboy Bebop”, in der Jazz mit Sci-Fi-Action verbunden wird. Das ist wahrscheinlich das abwegigste, das eigenwilligste Beispiel, das mir einfällt. Als ich an dem neuen Album gearbeitet habe, hat mich diese Frage nach einer anderen bildlichen Besetzung von Jazz die ganze Zeit über beschäftigt. Ich habe immer noch keine konkrete Antwort darauf, aber es hat irgendwas mit dem letzten Albumsong zu tun: „The Protest“. Ich wollte, dass das Album in einem versöhnlichen, positiven Ton und nicht in noch dunklere Sphären abdriftet. Es ist dieser Moment, in dem der Verstorbene merkt: „Hey, vielleicht ist Sterben gar nicht so schlimm, vielleicht ist sogar alles in bester Ordnung.“ Und dann singt ein Chor: „We will live on forever and ever.“
Und Flying Lotus beendet das Interview genauso, wie er es begonnen hat: Singend, grinsend und ansteckend gelassen. Wir werden ja sowieso ewig leben.
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