Sex, Sehnsucht, Schmerz

39 Posted by - 13. Juni 2014 - Pop

„He hit me / And it felt like a kiss“, singt Lana Del Rey im Titelsong ihres neuen Albums ULTRAVIOLENCE, das heute erscheint. Schmerz findet sich überall auf der Platte. Sie liebt ihn mit Inbrunst. Sie glorifiziert ihn, wird von ihm belehrt, geißelt sich in den Songs selbst. Als gutes Vorbild in Sachen Feminismus geht die 27-Jährige damit zwar nicht durch, aber dazu wollte sie wahrscheinlich auch niemals taugen. Entscheidend war immer der artifizielle Charakter ihrer Musik. Eine fiktive Welt fernab der Realität. Ihre Welt ist merkwürdig verstaubt auf Vergangenes bezogen und trotzdem ist sie eine gute Zeitdiagnostikerin. Wünsche und Fantasien sind ihr Terrain. Gleichzeitig ist da diese Ahnung, dass alles Suchen und Sehnen, die Parties und schicken Lederstiefel eigentlich von keinerlei Bedeutung sein werden.

Und natürlich – so kennen wir es von ihr – ist die Textzeile ein Zitat: Und die Tatsache, dass Del Rey den berüchtigten Song „He hit me (and it felt like a kiss)“ der Girlgroup The Crystals von 1962 (mitgeschrieben übrigens von Carole King) so offensichtlich, so selbstverständlich nicht verwischt, sagt viel über ihr Selbstverständnis als Musikerin: Sie navigiert diese Zitate als künstliche Identitätssplitter um sich herum – Namen, Bilder, Looks – solange, bis sie sich natürlich anfühlen wie eine echte Geschichte.

Keiner bekommt die ambivalente Schönheit des amerikanisches Traums so fest zu fassen wie sie.

Was kann man sagen über diesen langerwarteten Nachfolger vom 2012er Album „Born To Die“? Vorweg: Es ist ein gutes Album. Man erkennt eine musikalische Weiterentwicklung, hört die Spuren eines Reifungsprozesses. Gleichzeitig werden die Pfade festgetreten, die sie schon von Beginn ihrer Karriere an ging. Es geht um Sex, Tabus („Fucked My Way Up To The Top“), Schmerz, um Geld und Macht („Money Power Glory“), um Verlust. In der Keadsingle „West Coast“ scheint die kalifornische Sonne. Das alte Amerika bröckelt und strahlt trotzdem im schönsten Licht. Vielleicht gibt es dieser Tage keinen Popstar, der diese ambivalente Schönheit so wunderbar fest zu fassen bekommt.

Fast drei Jahre ist es her, dass diese chamäleonhafte Ikone in der Popwelt auftauchte. In Blogs, im Feuilleton, überall stritt man sich über fehlende Authentizität (das ewig leidige Thema der Popkultur) und die Perfektion einer Kunstfigur. Schmollmund und Amerikanischer Traum – so fing alles an. Inmitten einer ungeheuren Zitatenflut, von Comic-Prinzessinnen bis Trailerpark-Chic, von Marilyn bis Jackie O, steckte die Sängerin in rasantem Tempo alle in Flammen. Weil jeder sich irgendwo wiederfand. In einer Fantasie, die sie für uns auslebt. In einem Albtraum, in einer Angst, der sie sich für uns stellte. Im Glauben an das everything is possible des alten, goldenen Zeitalters. An irgendeiner Stelle packte sie jeden. Wie ein guter Hollywood-Film.

„I’ve been a lot of different people, I guess“

Sie sei schon viele Verschiedene gewesen – das sagt sie in einem langen, sehr intimen Interview zum neuen Album dem New Yorker Musikmagazin THE FADER. Die Titelstory von Duncan Cooper ist vielleicht das beste, was man bisher zum neuen Album lesen kann – nicht nur, weil Lana Del Rey sich verletzlich und nachdenklich zeigt, sondern weil er Antworten anbietet auf das Mysterium, das von dieser Gestalt ausgeht. Der Artikel folgt vier Linien, die sich von „Video Games“ bis jetzt zum neusten Song „Brooklyn Baby“ vom letzten Wochenende durch ihr Schaffen ziehen: Unentschiedenheit, Unterwürfigkeit, der Bezug zu großen amerikanischen Idolen und Selbstzerstörung. Es geht um menschliche Wandelbarkeit – „We perform identity every day“ – und um Feminismus – Cooper zitiert unter anderem einen interessanten soziologischen Essay von Catherine Vigier aus dem Jahr 2012: „The Meaning of Lana Del Rey“. Es ist eine kluge Annäherung an Del Rey, die jeder lesen sollte, der verstehen will, wer diese Frau überhaupt ist. Für alle Anderen gibt es immerhin wieder einen in Dämmerungslicht getauchten Sound für einen heißen Sommer.

Lana Del Rey, Ultraviolence, 13. Juni 2014, VÖ-Datum (Universal)

 

 

Lana del Rey …

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