• Laurenz Laufenberg, Andreas Schröders (Foto: Gianmarco Bresadola)

Mit Judith Butler im Behandlungszimmer

19 Posted by - 29. September 2015 - Projektionen

Sigmund Freud, Alice Schwarzer und Lena Dunham: Im Studio der Berliner Schaubühne versucht sich Regisseur Patrick Wengenroth an einem Gender-Abend: „thisisitgirl“ ist ein buntes Potpourie aus Geschlechterrollen und Theoriezitaten.

Beitragsbild: Laurenz Laufenberg, Andreas Schröders (Foto: Gianmarco Bresadola)

„thisisitgirl“ – so ist dieser Abend überschrieben. „Dit is it“, übersetzt Iris Becher, Gastgeberin des Theaterabends, Therapeutin, Showmasterin und gequälte Geschlechter-Performerin in einem, den Titel zu Beginn flapsig, nur um gleich die Frage hinterherzuschicken, die ja irgendwie allen unter den Nägeln brennt: „Und wat is it denn nu?“

Antworten auf die vielen großen und kleinen Fragen der allgegenwärtigen Gender- und Gleichberechtigungsdebatte jedenfalls bekommt der Zuschauer hier jedenfalls nicht. Aber darum soll es auch gar nicht gehen bei diesem Abend „über Frauen und Fragen und Frauenfragen“. Vielmehr dreht sich das Stück von Regisseur Patrick Wengenroth in einem immer wilderen Strudel aus vielzitierten, üblich verdächtigen Werken – von Freud bis Judith Butler, Simone de Beauvoir bis Lena Dunham – spiralenförmig um sich selbst.

Girl troubles are boy troubles too!

Vor allem geht es hier aber um die vielfältigen, sich mitunter unübersichtlich überlagernden “gender troubles” heutiger Männer. Denn Iris Becher bleibt neben ihrem Kollegen Ulrich Hoppe, Matze Kloppe und Laurenz Laufenberg die einzige Frau auf der Bühne. An diesem Abend „über Frauenfragen“ ist sie für die verunsicherten Männer der vorgehaltene Spiegel zum Abgleich der eigenen defizitären Seelenzustände. Die Männer sind bei Wengenroth “Lost Souls” mit Aufholbedarf: “Verlorene Seelen, die nach neuen Rollen suchen. Und weil sie das 200 Jahre lang verpennt haben, haben wir jetzt den Salat”, sagt der Regisseur in der Diskussionsrunde im Anschluss an das Stück. Er habe das Thema zusammen mit allen Beteiligten – mit Schauspieler, Dramaturgen und Bühnenbauern – entwickelt. Und so sind die Konflikte auf der Bühne auch privat und das Private dann eben auch politisch.

Iris Becher, Ulrich Hoppe (Foto: Gianmarco Bresadola)

Iris Becher, Ulrich Hoppe (Foto: Gianmarco Bresadola)

Auf die Theaterbühne macht sich das bunte Potpourri der alten und neuen Rollenbilder des Geschlechterkampfes natürlich besonders gut. Geht es hier ja schon seit jeher um Rollenspiele. Und so ist der Übergang zwischen Theaterrollen und den Rollen, die Frauen und Männer unter selbstauferlegten und gesellschaftlichen Druck auch im Alltag spielen, wunderbar fließend. Butlers Idee des “performativen Geschlechts” schwebt über dem ganz normalen Wahnsinn, der sich da in dem holzvertäfelten Behandlungszimmer auf der Bühne abspielt: Iris Becher empfängt die Männern als Therapeutin.

Eine lustige Nummernrevue mit einschlägiger Feminismustheorie

Und während diese ihre diversen “gender troubles”, ihre Panikattaken und verdrängten Ängste an sie herantragen, werden so die Rollenbilder in einer rasanten Aneinanderreihung durchgespielt: der Aktenkoffer-Biedermann und der Macho-Polohemd-Daddy, der vermeitlich moderne, verklemmte Student, Rudelgesänge und Stammtischgespräche über die gebärfähige Frau als „ökonomisches Risiko für jedes Unternehmen“. Es wird ein Damenschlüpfer anprobiert und über Freuds Penisneid-Theorie diskutiert, im Peter-Pan-Kostüm das Erwachsenwerden verweigert und über schlimme Albträume gejammert: „Wir haben sieben Kinder, meine Frau arbeitet Vollzeit, und ich sitze zu Hause. Und eines Tages geh ich aufs Klo und aus der Unterhose fällt mein Schwanz ab, und im Spiegel sehe ich, wie mir die Milch einschießt“. Und mittendurch sausen die Zitate von Alice Schwarzer, Sylvia Plath und Simone de Beauvoir, von Klaus Theweleit, Shulamith Firestone und Laurie Penny wie in einer lustigen Nummernrevue.

Für die Therapeutin gibt es also viel zu verkraften und so werden während der nächsten 2 Stunden einige Bierdosen aus dem Behandlungsschrank geholt. Schließlich gilt es ja als Frau auch noch “ihren Mann zu stehen”. Einmal hält sie ihren Patienten eine Standpauke, für die sie sich Laurie Pennys berühmte Thesen von dem neoliberalen Hochleistungsfeminismus ausleiht: “Mir wurde gesagt, ich könnte alles haben. Aber ich muss ständig eine Fiktion des Patriarchats performen.“ Die Männer schauen bedröpelt drein. Es ist aber auch wirklich eine verzwickte Angelegenheit.

„thisisitgirl“ läuft noch bis zum 8. November im Studio der Berliner Schaubühne. Weitere Infos und Tickets gibt es hier.

Essay zum Stück: „thisisitgirl: Frauen schreiben ihre eigenen Rollen (damit Männer das auch tun können)“

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