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Warum wir Einhörner lieben…

39 Posted by - 28. März 2015 - Pop, Projektionen, Protagonisten

Einhörner stehen für unsere Sehnsüchte. (Nein, nicht Baby Filly Unicorn.) Sehnsüchte nach einer anderen Welt. Sie sind stark, stolz, frei und ungefähr genauso inexistent, wie die Narrative, die Geschichten, die uns von starken, selbstbestimmten, freien Menschen erzählen. Als begeisterter Serien- und Filmfan ist das Zappen durch die neuesten Trailer, wie die Suche nach Einhörnern auf der Koppel.

Wo sind sie, diese anderen Narrative? Ich will Heldinnen sehen, die, seien sie noch so dick, ungeschminkt, androgyn, queer, trans, schwarz, laut, rebellisch, selbstsicher, hässlich, vulgär, trotzdem und gerade deswegen Abenteuer erleben, Herausforderungen meistern (aber nicht auf Kosten anderer), sexuell anziehend sind und geachtet werden. Die ihr Leben in die Hand nehmen und ihre Leidenschaft verfolgen. Die nicht normiert nach der immer gleichen Leier klingen.

Stattdessen sind Frauen: Freundinnen, Ehefrauen, Geliebte, Femme fatale, Schlampen, Opfer, maschinengleich ackernde Karrierefrauen, Mütter und vor allem 50 Schattierungen von Nebenfiguren in der männlichen Heldenstory. Gähn.

Leider nein: EMPIRE

Gerade läuft in den USA eine, von Millionen gefeierte, Serie namens „EMPIRE“, die auf den allerersten Blick alternative Rollen erschafft. Die Story: An der Spitze des HipHop-Musikunternehmens herrscht Lucious Lyon über sein Imperium. Dummerweise wird er an ALS (ja, diese Ice-Bucket-Krankheit) sterben und nun dürfen seine drei Söhne, der bipolare Geschäftstyp Andre, das schwule Musikgenie Jamal und der verwöhnte, ungezogene Rapper Hakeem, sich um den Thron streiten. Soweit, so konventionell.

Außergewöhnlich ist, dass alle diese Figuren von schwarzen Schauspielern verkörpert werden, traurigerweise fast alle offen rassistisch. Außergewöhnlich sind sonst noch die Frauenrollen. Allen voran prescht Cookie, die Mutter der Söhne, Exfrau des Musik-Königs und seine Rivalin. Sie ist eine durchgestylte Sexbombe und gleichzeitig smarte, gerissene Businessfrau, die weiß, was sie will. Die 17 Jahre Knast merkt man ihr nicht an. Außer, dass sie will, was ihr „gehört“, sie richtig dicke Eier hat und keine Scheu davor, sie in voller Machomanier auszupacken. Und: Cookie ist nicht die einzige Frau in der Serie mit Machtanspruch und dem Willen dafür auch zu kämpfen – kühl kalkuliert, manipulierend und zur Not auch bis aufs Blut. Und das wäre dann auch schon der Haken.

Das Frauenbild des Business-Sexbomb-Machos kommt ziemlich gut in unserer Gesellschaft an. Ein Beispiel einer solchen Powerfrau ist Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook. Sie gilt als eine der mächtigsten Frauen der Welt und betont in ihrem Bestseller über den Karriereweg von Frauen, dass wir uns reinknien sollen und ganz wichtig: immer schön lächeln. Was bei all dem Streben nach Macht, Ruhm und Geld fehlt, ist, genau diese Regeln, die ja von Männern gemacht wurden, zu hinterfragen. Die Frauen in „EMPIRE“ funktionieren innerhalb des männlichen Dominanz- und Machogehabes – das nennt sich „neoliberaler Feminismus“ at it’s best. Stereotypenalarm.

Zudem werden alle – Achtung: SPOILERALARM – vermeintlich starken Frauen innerhalb weniger Folgen zu den typischen Männeranhängseln abgesägt oder tauchen einfach gar nicht mehr auf. Bei einer Serie, die schon im Titel den Herrschaftsanspruch trägt, passt das natürlich super ins Klischee – und es bleibt trotzdem kurzzeitig erfrischend so viele schwarze, starke Frauen zu sehen, die nicht immer lächeln, sondern zur Not auch den Pitbull rauslassen. Außerdem macht die Assoziationskette zu lebenden Popikonen großen Spaß und bietet Gesprächsstoff à la „Who is who“: Jay-Z, Frank Ocean, Chris Brown, Puff Daddy, Janelle Monare, Foxy Brown, Lil‘ Kim und dann sind da noch die Gastauftritte von Mary J. Blige, Snoop Dogg oder Naomi Campbell und die von Timbaland produzierte Mucke.

Dennoch: Millionen schalten ein. Ich schalte wieder ab.

Großartig: Cecile Emeke

Gerade ist eine britische Webserie online zu sehen, die tatsächlich in zweifacher Hinsicht ein anderes Narrativ nutzt: „Ackee & Saltfish“. Lässig, selbstverständlich, black, weiblich – großartig!! Mehr Infos in Süperflimmern von WDR Funkhaus Europa.

Neue Heldinnen: Kirgisischer Frauenprotest

Auch wenn der Titel „Flowers of Freedom“ es nicht verrät, der Dokumentarfilm, der sich dahinter verbirgt, ist herzerwärmend und auf so vielen Ebenen bereichernd. Mirjam Leuze gelingt ein Blick in das Leben einer Gruppe von Frauen, die schon seit den 90er Jahren den Widerstand gegen eine Goldmine in ihrem Land anführen. Leuze begegnet den Frauen auf Augenhöhe, spricht ihre Sprache und zeigt sie nie als Opfer, auch wenn einige von ihnen den im Land gebräuchlichen Frauenraub inkl. Vergewaltigung und Zwangsehe am eigenen Leib erlebt haben.

Leuze idealisiert ihre Heldinnen aber auch nicht. Stattdessen sehen wir sie in ihrer alltäglichen Umgebung ein einfaches, hartes Leben führen. Sie schildern ganz offen und auch unter Tränen ihre Ängste und führen trotzdem mutig weiter den schier unmöglichen Kampf. Die Herrschenden, seien es Politiker, Unternehmer oder auch nur Polizisten tauchen quasi nicht auf. Ihre Geschichte wird ausgespart. Wofür auch den immer wieder neuen Rhetorikquatsch mitmachen, der ja doch nur verschleiert, dass das Kernproblem der Ausbeutung von Natur und Mensch auch hier greift?

Die Frage, ob die Mine nun Fluch oder Segen für das Land ist, beantworten die Frauen damit, dass wir alle in einem zusammenhängenden, ökologischen System leben. Wenn in Kirgistan die imposanten Gletscher kaputt gemacht werden, dann hat das Auswirkungen auf die ganze Welt. Klingt zu simpel? Ist es aber nicht.

Sex und Revolution: Laurie Penny

Laurie Penny, eine der lautesten, feministischen Bloggerinnen Großbritanniens, hat ein neues Buch auf den Markt gebracht, welches vor kurzem nun auch auf Deutsch erschienen ist. Es ist schon ihr fünftes, obwohl sie gerade mal Ende zwanzig ist – Hut ab! „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ ist eine wütende Streitschrift, ein Aufruf zur Meuterei („Die freundliche Bitte um Veränderung bringt uns nicht weiter“) gegen das weiße, neoliberale Patriarchat, seine Eigentumsstrukturen, Macht- und Genderrollen. Penny analysiert darin herrschende Narrative vom starken Mann und der braven, perfekten Frau, sucht die unsichtbaren, unerzählten Geschichten. Einer der wichtigsten Sätze des Buchs ist, dass es keine Anklage gegen die Männer dieser Welt sei, sondern eine Aufforderung!

Hier ein paar nachhallende Zitate:

Die Gesellschaft neigt dazu, uns von strukturellem Denken abzuhalten. In einer Kultur, in der wir uns als frei handelnde Individuen betrachten sollen, fällt es nicht leicht, verstörende Realitäten wie Armut, Rassismus und Sexismus als Teile einer größeren Gewaltarchitektur zu erkennen. (Seite 77)

 

Natürlich hassen nicht alle Männer Frauen. Die Kultur hasst Frauen, und Männer, die in einer sexistischen Kultur aufwachsen, haben- oft unbeabsichtigt- die Neigung, sexistisch zu handeln und sich sexistisch zu äußern. Wir verurteilen dich nicht dafür, was du bist, aber das heißt noch lange nicht, dass wir dich nicht darum bitten, dein Verhalten zu ändern. (Seite 76/77)

 

Ironie ist natürlich das letzte Überbleibsel der modernen Krypto-Misogynie: Plumpe Stereotypen und verletzende Herabsetzungen sind ein Witz bis zu dem Punkt, an dem sie es eben nicht mehr sind, und selbstverständlich brauchen wir einen Mann, der uns sagt, wann und ob wir Sexismus ernst nehmen sollen. (Seite 236)

 

Es gab schon immer Männer, die zu arm, zu queer, zu sensibel, zu behindert, zu einfühlsam oder einfach zu klug waren, um sich mit der Spielart der gewalttätigen Heterosexualität zu arrangieren, mit deren Hilfe [die Gewaltarchitektur des Patriarchats aufrechterhalten wird.] (Seite 87)

 

Die Welt braucht mehr Männer, die kreative Arbeit verrichten, die kein Geld bringt, die kuscheln, weinen, Vollzeitväter sind oder auch so Kinder erziehen, gefickt werden, Make-Up tragen, verletzlich und fragil sind, Pflegeberufe ausüben, sich die Fingernägel lackieren und Frauen als gleichwertig ansehen.

Profem: Cecile Emeke again

Die dokumentarische Serie „Strolling“ von Cecile Emeke zeigt diverse schwarze Menschen, die sich zu Rassismus und Sexismus äußern – genauso selbstverständlich wie Rachel und Olivia in „Ackee & Saltfish“ über Brotkumen streiten können. Auch Männer sollten Feministen werden, denn dieses missverstandene Wort steht eigentlich für den Kampf um Gleichberechtigung aller Menschen. Die herrschende Machtstruktur schadet jedem. In ihr können nur einige wenige vermeintlich gewinnen aber sie leben eine menschenverachtende Lüge. Thank you Cecile Emeke and thank you Abraham/@abefeels. Thank you Mirjam Leuze. Thank you Laurie Penny. Mehr Einhörner für die Welt!

 

Patriarchat, marktkonforme Demokratie, Oligarich – Michael Hirsch über unsere Gesellschaft.

Same game in Music – call it BROSTEP. Auf Pitchfork, eine von vielen Beschwerden,

Mehr Frauen in homöopathischen Dosen im Zündfunk, BR

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