Islamischer Staat, Boko Haram, Charlie Hebdo, Pegida, Legida… An manchen Tagen in den vergangenen Wochen konnte man den Eindruck bekommen, in unserer Welt geht es um gar nichts anderes mehr: Terror. Angst. Terrorwarnungen. Demos. Pro und contra. Immer wieder Tote. Demoverbot. Erneute Demos. Die Ereignisse scheinen sich zu überschlagen.
Aus der Flut an Informationen empfehlen wir eine kleine Auswahl an Artikeln und Radiostücken. Sie wirken wie Anker, weil sie gut zusammenfassen oder tiefgründig sind, weil sie Haltung beweisen und weil sie an der Realität rütteln, die es zu verändern gilt.
Wer nicht einverstanden ist: Ja bitte, fangen wir an zu diskutieren! Und wem gerade die Worte fehlen: der darf sich gerne beim besten Troll-Mentor bedienen, den wir bisher getroffen haben.
Was dürfen die Medien?
Haben „die Medien“ angemessen berichtet oder die Ereignisse nur genutzt, um Aufmerksamkeit zu ziehen? Gerade die Live-Berichterstattung von der Geiselnahme in Paris wirkte fast wie ein Thriller: Reporter, die vor dem jüdischen Supermarkt standen und von hörbaren Schüssen berichteten. Zur gleichen Zeit verwüstete Boko Haram in Nigeria mehrere Ortschaften und tötet tausende Menschen. Berichten „die Medien“ zu eurozentrisch?
Der Soziologe Stephan Humer, der sich seit vielen Jahren mit Terrorismus und Medienberichterstattung beschäftigt, beschreibt die „seriösen“ deutschen Medien sogar als besonders, vielleicht sogar zu vorsichtig. Er plädiert für Nachsicht und für eine Debatte um neue soziale Standards in den Medien. Kurz und knackig im Interview mit WDR Funkhaus Europa.
Die Debatte hat schon begonnen, beispielsweise in der Talkausgabe von Breitband. Darin geht es um sprachliche Abrüstung, das Durchbrechen der Scheinhermetik durch die neuen Medienkanäle und den Wunsch nach mehr Diskussion. Aber bitte mit mehr Grips als hier:
Was darf Satire?
Als sehr erfrischend geerdet zeigte sich Tim Wolff, Chefredakteur der „Titanic“ im Interview mit der Tagesschau und benennt ganz klar seinen zukünftigen Fokus: Mehr Satire gegen den Terror!
Wie es um Satiriker weltweit steht, zeigt dieses Webdossier mit Weltkarte von Arte. Die dazugehörige Dokumentation findet man nicht mehr in der Mediathek, dafür aber auf Youtube. Auch wenn sie schon etwas älter ist, bietet sie einen umfangreichen Blick etwa auf Israel, Palästina und Tunesien.
Was darf die Politik?
Übel wird uns, wenn wir uns die Liste an Politikern anschauen, die auf der großen Demo für Meinungsfreiheit in Paris mitmarschiert sind, sich aber sonst, milde gesagt, recht wenig um Meinungsfreiheit scheren. Zusammengestellt wurde die Liste von dem in London lebenden Blogger Daniel Wickham. Im Interview mit dem Guardian erzählt Wickham von seiner Motivation und dem Effekt, den diese Liste hatte.
Was darf Religion?
Was im Namen von Religionen getan wird und wurde, lässt Zweifel aufkommen, ob es nur ihre dumme und tragische Auslegung ist oder ob es vielleicht doch ein viel grundsätzlicheres Problem mit Religion an sich gibt. Wir stimmen Christian Schiffer voll zu, wenn er trotz allem für Religionsfreiheit und vor allem für Humanismus plädiert und unterstreichen hiermit:
Religion ist wie ein Penis. Es ist schön einen zu haben, man darf auch ruhig stolz darauf sein, aber man soll ihn bitte nicht immer und überall auspacken und damit herumwedeln.
Im Orignal zu finden beim wunderbaren Zündfunk.
Was dürfen Staaten?
Auch der Islamische Staat instrumentalisiert Religion für sein „expansionistisches, dynamisches politisches Gebilde.“ Die Region, in der sich der Islamische Staat ausbreitet, hat koloniale Hintergründe, wie Dietmar Herz, Professor für Vergleichende Religionslehre in Erfurt, im SZ-Magazin beschreibt:
Der Libanon, Syrien und der Irak sind alles Staaten mit sehr diversen Bevölkerungen, die aber nicht als solche respektiert und regiert wurden. Die Herrscher dieser Staaten unterdrückten Sunniten (Syrien), Kurden und Schiiten (Irak). Bürgerkriege waren zwangsläufige Folge. Diese Ursünde des Kolonialismus belastet die Region bis heute: Es fällt auseinander, was im Grunde nie zusammengehört hat.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden diese Staaten, trotz ihrer inneren ethnischen und religiösen Spaltung in der Konferenz von San Remo geschaffen.
Während europäische Kommentatoren von Milizen und einer Terrororganisation sprechen und betonen, dass es sich beim IS nicht um einen Staat handele, hat dieser längst ein Rechts- und Sozialsystem aufgebaut sowie straffe, militärische Strukturen und eine äußerst wirkungsvolle „Öffentlichkeitsarbeit“.
Ein Lichtblick in Kobanê
Gerade in Kobanê und der Region Rojava, zu der die Stadt gehört, gibt es demokratische Versuche. Kurden, Araber und Christen werden gleichberechtigt in die Stadtverwaltungen geholt. Wie genau das aussieht und warum gerade in dieser so hart umkämpften Region ein Lichtblick zu finden ist, beschreibt Occupy Gründer David Graeber für den Freitag – absolut lesenswert!
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